Donnerstag, September 25, 2008

Regierungserklärung "Zur Lage der Finanzmärkte"

Regierungserklärung des Bundesministers der Finanzen Peer Steinbrück "Zur Lage der Finanzmärkte" im Deutschen Bundestag
Datum: 25.09.2008 08:52
Redner: BM Peer Steinbrück
Veranstaltungsort: Berlin

Lage an den Finanzmärkten

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

Immer mehr Unsicherheiten, ja Ängste machen sich breit bei den Menschen, nicht nur in unserem Land. Viele fragen sich: Stehen wir vor einem Kollaps des Finanzsystems? Folgt aus der Krise an den Finanzmärkten eine globale Wirtschaftskrise? Und was heißt das persönlich für mich? Deshalb am Anfang eine wichtige Feststellung: Bislang hat das internationale Krisenmanagement funktioniert. Es ist nicht zu einem Kollaps des Weltfinanzsystems gekommen. Und das, obwohl wir in den letzten Wochen an den Finanzmärkten eine weitere Zuspitzung der schlimmsten Bankenkrise seit Jahrzehnten erlebt haben.

Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat aus meiner Regierungserklärung zur Lage auf den Finanzmärkten beginnen, die ich am 15. Februar diesen Jahres abgegeben habe. Damals habe ich gesagt:

„Wir haben es in und zu Lasten weiter Teile der Welt mit einer ernsten Finanzmarktkrise zu tun. Sie wird uns weit in das Jahr 2008 beschäftigen. Sie ist kein deutsches Spezifikum. Sie birgt weitere, noch nicht gehobene Risiken. Infektionsgefahren für die weltweite Konjunktur- und Wachstumsentwicklung sind nicht zu übersehen.“

Leider sind diese von mir damals beschriebenen Risiken eingetreten. Diese ernste globale Finanzmarktkrise wird tiefe Spuren hinterlassen. Sie wird das Weltfinanzsystem tief greifend umwälzen. Niemand sollte sich täuschen: Die Welt wird nicht wieder so werden wie vor dieser Krise. Wir müssen uns in nächster Zeit weltweit auf niedrigere Wachstumsraten und - zeitlich verschoben – eine ungünstigere Entwicklung auf den Arbeitsmärkten einstellen.

Die Fernwirkungen der Krise sind derzeit nicht absehbar. Eines scheint mir aber wahrscheinlich: Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren. Das Weltfinanzsystem wird multipolarer.

In der neuen Finanzmarktwelt werden Staatsfonds und Handelsbanken aus Asien oder dem Nahen Osten ebenso ihren Anteil haben wie europäische Banken mit ihrem Universalbankenmodell – ein Modell, das sich übrigens dem amerikanischen Trennbankenmodell gerade jetzt als überlegen erwiesen hat.

Meine Damen und Herren,

seit dem Platzen der Immobilienblase in den USA sind vier Erschütterungswellen durch das Weltfinanzsystem gerollt:

Im Juli/August 2007 kam es ausgehend von der US-Subprime-Krise zu massiven Verlusten bei Bear Stearns und Northern Rock. Gleichzeitig mussten wir in Deutschland Rettungsaktionen für die IKB und die Sachsen LB organisiert mit dem Ziel, einen weitergehenden Schaden für den Finanzplatz Deutschland zu vermeiden. Das ist uns gelungen.

Ende 2007 melden US-Banken Milliardenabschreibungen. Zugleich ergeben sich ernste Liquiditätsengpässe für Banken, worauf Staatsfonds als Kapitalgeber einspringen.

Im März 2008 rettet die amerikanische FED Bear Stearns nach den größten Marktpreisverlusten, die es je in einem Monat gab.

Und in diesem schwarzen September geht schließlich die viertgrößte amerikanische Investmentbank, die über 150 Jahre alte Bank Lehman Brothers, in Insolvenz. Wenige Tage später wird der zweitgrößte Versicherer der Welt, die US-amerikanische AIG, mit 85 Mrd. US-$ ebenso quasi-verstaatlicht wie die US- Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac mit 200 Mrd. US-$. Als das alles nicht reicht, legt die US-Regierung das größte Rettungsprogramm in der Geschichte der internationalen Finanzmärkte auf – mit einem
unglaublichen Volumen von 700 Mrd. US-$!

Insgesamt müssen die USA über eine Billion US-$ neue Schulden machen, um die Finanzmarktkrise zu bewältigen! Das darf gelegentlich in einem Vergleich gegenüber den bisherigen Stützungsmaßnahmen des Bundes über die KfW bei der IKB in Höhe von 1,2 Mrd. € (und einer Bürgschaft von 600 Mio. €, deren Fälligkeit unwahrscheinlich ist) ins Verhältnis gesetzt werden.
Trotz allen Vorhersagen, dass die Krise nicht rasch vorüber sei, war ein solcher Reigen von Notübernahmen und quasi-Verstaatlichungen nicht zu erwarten. Und das in den USA, dem Hort der Marktwirtschaft und einer lautstark vorgetragenen neoliberalen Grundüberzeugung.

Die USA sind der Ursprungsort und der eindeutige Schwerpunkt der Krise. Hier wurden Hypothekenkredite an nicht kreditwürdige Kreditnehmer ohne jegliche Sicherheiten vergeben. Hier wurden diese immensen Kreditrisiken anschließend durch Verbriefungsgeschäfte unkenntlich gemacht.

Hier nahm das Rennen nach Rendite seinen Anfang. Von hier aus hat sich die Finanzmarktkrise weltweit wie ein giftiger Ölteppich ausgebreitet, zunehmend auch in Richtung Europa – auch wenn das Volumen der bislang bekannten Verluste in Europa in keiner Weise mit denjenigen in den USA zu vergleichen ist.

Dennoch: auch namhafte europäische Banken mussten bisher milliardenschwere Wertberichtigungen vornehmen. Nur einige Beispiele:

Credit Agricole (F): Wertberichtigungen von insgesamt 8,7 Mrd. US-$.

Societe Generale (F) Wertberichtigungen aus Subprimemarktgeschäften von 6,5 Mrd. US-$.

UBS AG (Schweiz) Verluste von sage und schreibe 44 Mrd. US-$! Damit hat UBS europaweit mit Abstand die höchsten Verluste.
Die Krise hat inzwischen Finanzdienstleister in ganz Europa erfasst. Was heißt das alles für Deutschland? Der deutsche Bankensektor wird von den krisenhaften Entwicklungen nicht verschont. Viele Institute sind betroffen, nicht nur die IKB, die Sachsen LB oder die West LB, d. h. nicht allein der öffentlich-rechtliche Sektor!

Zum Glück halten sich die Engagements deutscher Banken bei Lehman Brothers in einem überschaubaren Rahmen und sind verkraftbar.

Insgesamt zeigt sich, dass das deutsche 3-Säulen-System im internationalen Vergleich relativ robust ist. Die deutsche Aufsichtsbehörde, BaFin, ist sich sicher, dass die in den letzten Jahren gesteigerte Risikotragfähigkeit der deutschen Institute ausreicht, die Verluste auszugleichen und die Sicherheit der privaten Ersparnisse zu gewährleisten.

Mit Blick auf die Realwirtschaft sind wir in Deutschland in der vorteilhaften Lage, dass sich unsere Unternehmen, insbesondere der auf Kreditfinanzierungen angewiesene Mittelstand – trotz Abschwung und sich verschärfender Kreditkonditionen – bislang nicht einer Kreditklemme gegenübersehen. Das sieht im Übrigen auch der BDI-Präsident, Herr Thumann, so. Dass es in Deutschland nicht zu

einer Kreditklemme gekommen ist, haben wir vor allem den Sparkassen zu verdanken, die in den ersten Monaten dieses Jahres sogar mehr Kredite ausgegeben haben als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

In dieser größten Krise seit Jahrzehnten zeigt sich, dass das zu unserem Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft passende Universalbankensystem mit seinen drei Säulen der privaten Geschäftsbanken, der kommunalen Sparkassen und der regionalen Genossenschaftsinstitute wesentlich robuster ist, als es das anglo-amerikanische Trennbankensystem mit seiner überzogenen Renditefixierung war. Die vergleichsweise breite geschäftspolitische Aufstellung bewährt sich in der Krise. Es bewährt sich, dass wir in Deutschland nicht nur auf die Rendite geschaut haben – wir haben uns der ausschließlichen Fixierung auf kurzfristige Rendite und immer höhere Quartalsgewinne in zwei von drei Banksäulen weitgehend verweigert. Wir müssen gerade gegenüber Brüssel unser 3-Säulen-System verteidigen.

Tiefere ordnungspolitische Ursachen der Krise
Meine Damen und Herren,

wenn nach den Ursachen der Krise gefragt wird, dann lautet die Standard-Antwort: die US-Subprimemarktkrise. Vordergründig ist das richtig. Die eigentlichen Ursachen liegen jedoch tiefer – nämlich in einer aus meiner Sicht unverantwortlichen Überhöhung des „laissez-faire“-Prinzips, also dem von staatlicher Regulierung möglichst vollständig befreiten Spiel der Marktkräfte im anglo-amerikanischen Finanzmarktsystem.

Die Argumentation der „laissez-faire“-Vertreter war genauso einfach wie gefährlich: Lass den Markt mal machen, er ist am effizientesten, wenn der Staat sich mit Regulierung vollständig heraushält.

Der kurzfristige - oder sollte ich sagen: kurzsichtige - Erfolg - zweistellige Renditen und milliardenschwere Boni für Investmentbanker und –manager schien ihnen Recht zu geben. Darauf wollten weder in New York, noch Washington oder London Investmentbanker und Politiker verzichten.

Kritische Hinterfragungen dieses Systems sowie Lösungsvorschläge wie sie die Bundesregierung angestellt hat, wurden während unserer G7- und EU-Präsidentschaft belächelt oder als typische deutsche Regulierungsneigung vor der Finanzmarktkrise behandelt.

Von anglo-amerikanischer Seite wurde das dortige System mit einer Art „Absolutheitsanspruch“ versehen. Es wurde noch vor kurzer Zeit ziemlich vehement auf die möglichst globale Übernahme dieses Modells gedrängt. Verhängnisvolle Folge war, dass

die USA bei der Implementierung der stabilisierenden Basel II-Bankenregeln sehr zögerlich vorgegangen sind,

die USA wegen ihrer langen Weigerung erst 10 Jahre (!) nach Einführung der Financial Stability Assesment Programs (FSAPs) beim IWF eine Untersuchung ihres Finanzsystems haben werden,

die USA - anders als z.B. Deutschland - bislang die Investmentbanken nicht ausreichend reguliert und beaufsichtigt haben und

- anders als in vielen europäischen Ländern - nicht über eine Allfinanzaufsicht, sondern über eine stark zersplitterte Finanzaufsicht verfügen.
Dieses in weiten Teilen unzureichend regulierte System bricht gerade zusammen – mit weit reichenden Folgen für den US-Finanzmarkt und erheblichen Ansteckungseffekten für die übrige Welt. Einmal mehr scheint es in der Geschichte so zu sein, dass sich ein System, das maßlose Übertreibungen ermöglicht und geduldet hat, seine eigene Antithese schafft, sich letztlich selbst aufhebt.

Aktuelles Krisenmanagement
Meine Damen und Herren,

wie bei einem Patienten, der unter akuten Kreislaufproblemen leidet, kommt es auch bei einer Finanzmarktkrise im Rahmen des akuten Krisenmanagements zu allererst darauf an, einen Kollaps zu verhindern. Dazu müssen lebenserhaltende Prozesse und Funktionen stabilisiert werden, die in Stresssituationen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr ablaufen.

Angesicht der in den letzten Tagen zugespitzten Situation in den USA, hat die US-Regierung eine Reihe von Stabilisierungsmaßnahmen beschlossen - die ich ausdrücklich begrüße –, mit dem Ziel, den Kollaps des US-Finanzmarktes und damit Schlimmeres zu verhindern.

An oberster Stelle steht das bereits von mir erwähnte staatliche, 700 Mrd. US-$ schwere, Rettungsprogramm (troubled asset relief program). Es dient zum Aufkauf illiquider hypothekenbezogener Aktiva der Finanzinstitute. Jetzt muss der amerikanische Steuerzahler dafür zahlen, dass das Finanzmarktsystem trotz immer undurchsichtigerer Innovationen nicht ausreichend reguliert wurde. Ich bin sehr froh, dass der deutsche Steuerzahler bisher deutlich

niedriger belastet worden ist und belastet werden wird. Die bisherigen Kosten auch zu Lasten des Steuerzahlers stehen in einem weit geringeren Verhältnis gegenüber den Kosten, die entstanden wären, wenn wir – Bund und Länder – unseren Finanzmarkt nicht stabilisiert und eine weitergehende Erschütterung vermieden hätten.

Wie groß die Probleme in den USA aktuell sind, zeigt der Vergleich mit dem Programm zur Beilegung der „Savings- and Loans-Krise“. Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre entsprach das Rettungsprogramm in den USA ca. 3% des US-amerikanischen BIP – heute sind es bereits 5% des US-BIP.

Die Wall Street wird nie mehr so sein, wie sie war. Bis vor wenigen Tagen gab es noch zwei letzte Mohikaner unter den Investmentbanken. Inzwischen gilt auch das nicht mehr. Die letzten beiden übrig gebliebenen großen US-Investmentbanken, Morgan Stanley und Goldman Sachs, sind in gewöhnliche Bank-Holdings umgewandelt worden. Damit fallen sie stärker unter die Kontrolle der nationalen Bankregulierung. Sie verlieren damit – Gott sei Dank – sehr viel Spielraum für riskante Anlageprodukte.

Meine Damen und Herren,

die Entwicklungen bei

den US-Investmentbanken Bear Stearns, und

Lehman Brothers,

bei den beiden Hypothekenfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac sowie

zuletzt beim US-Versicherungsunternehmen AIG
spiegeln ein schwieriges Abwägungsproblem wider, vor dem alle staatlichen Autoritäten stehen – der Abwägung zwischen dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes einerseits und der Vermeidung einer Ausnutzung staatlicher Unterstützung durch Marktteilnehmer („moral hazard“) andererseits.

Staatliche Autoritäten müssen immer abwägen - und zwar unter Ungewissheit, bei unvollständigen Informationen - zwischen der Gefahr systemischer Krisen für den gesamten Finanzmarkt und der Gefahr, von Marktteilnehmern, ausgenutzt zu werden. Solchen Marktteilnehmern, die darauf spekulieren, dass der Staat mit Steuergeldern oder die Notenbanken mit frischem Geld intervenieren, das schlimmste verhindern und somit das riskante Geschäftsgebaren dieser Marktteilnehmer im Nachhinein sogar noch belohnen.

Ich kritisiere die staatlichen Stellen in den USA für ihr spätes Vorgehen, aber ich begrüße ihr differenziertes Vorgehen. Die staatlichen Autoritäten in den USA haben nicht jedes Institut gerettet, aber sie haben dann zugegriffen, wenn es notwendig war, um zu verhindern, dass es zu einem Zusammenbruch des Finanzmarktsystems gekommen wäre.

Dabei entbehren die Diskussionen um Rettungsaktionen diesseits und jenseits des Atlantiks nicht einer gewissen politischen Scheinheiligkeit: Da werden im Fall der USA die milliarden- bis billionenschweren Rettungsaktionen der Regierung als Beleg für die Tatkraft und Handlungsfähigkeit der Regierung gelobt.

In Deutschland werden dagegen die eingesetzten Steuergelder als Versagen des Staates beklagt. Da wird der amerikanische Finanzminister zum Mann der Stunde, dem das Magazin „Newsweek“ sein Cover mit dem Titel „King Henry“ gönnt und hier wird gerade so getan, als wären die an der IKB-Rettung Beteiligten eine Zusammenrottung von Ignoranten. Das sind sie nicht.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir brauchen kein Titelbild – was ich aber einfordere, ist etwas mehr Ausgewogenheit und weniger Beliebigkeit in der politischen Diskussion der Finanzmarktkrise!

Meine Damen und Herren,

wir müssen uns über Eines im Klaren sein:

Was die USA mit dem 700 Mrd. US-$-Rettungsprogramm jetzt im großen Stil vollziehen ist etwas, dass wir in Deutschland ganz gezielt für die betroffenen Banken wie die IKB, Sachsen LB, Bayern LB und West LB bereits vor Monaten vollzogen haben.

Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns andere sind, ist ein ähnliches Programm in Deutschland oder Europa weder notwendig noch sinnvoll. Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem! Diese Haltung wird im Übrigen auch von den anderen G7-Finanzministern in Kontinentaleuropa geteilt.

Das bedeutet nicht, dass die deutsche Politik untätig ist. Im Gegenteil: Bundesfinanzministerium, BaFin und Deutsche Bundesbank stehen in engem Kontakt mit ihren jeweiligen internationalen Partnerbehörden und den Spitzen der deutschen Kreditwirtschaft. Das Krisenmanagement hat bisher geklappt.

Für den heutigen Nachmittag habe ich die wichtigsten Vertreter der deutschen Finanzwirtschaft zu einem Austausch - nicht zu einem Krisengipfel – eingeladen. Mit den Vertretern der Bankenwirtschaft und der Versicherungswirtschaft will ich diskutieren, wie sie die Lage zu beurteilen und bewerten.

Das Gespräch dient darüber hinaus auch der Vorbereitung des G7-Finanzministertreffens am 10./11. Oktober in Washington.

Zum wirksamen aktuellen Krisenmanagement gehört auch, dass die BaFin ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot zur Sicherung der Vermögenswerte gegenüber der Lehman Brothers Bankhaus AG erlassen hat. Außerdem hat die BaFin - entsprechend dem Vorgehen in anderen Ländern, wie den USA und Großbritannien, und in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen – am vergangenen Freitag ein sofortiges Verbot von Leerverkäufen in Aktien führender Unternehmen der Finanzbranche erlassen.

Damit wird verhindert, dass durch pure Spekulation provozierte exzessive Bewegungen in den Aktienkursen wichtiger Unternehmen der Finanzbranche die Finanzmärkte zusätzlich verunsichern und dadurch die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

Krisenprävention - Wie können vergleichbare Finanzmarktkrisen in Zukunft verhindert werden?
Meine Damen und Herren,

eines ist völlig klar: Um das in den und gegenüber den Finanzmärkten und ihren Akteuren massiv verloren gegangene Vertrauen wieder zurück zu gewinnen, wird es bei weitem nicht ausreichen, dass wir uns mit der akuten Krisenbewältigung begnügen.

Krise bewältigen und dann wieder zur Tagesordnung übergehen – das reicht nicht!

Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als die Finanzmärkte so zu sagen „neu zu zivilisieren“ und darüber vergleichbare Krisen in der Zukunft möglichst zu verhindern.

Wie können wir das erreichen? Sicher nicht allein durch moralische Appelle gegen spekulative Zügellosigkeit und exzessive Übertreibungen.

Eine wirksame mittel- bis langfristige Antwort auf die Krise kann deshalb nicht allein in erneuten Selbstverpflichtungserklärungen oder Selbstregulierungen der Finanzmarktindustrie liegen. Das reicht nicht! Die mir wichtige Antwort ist eine stärkere, international abgestimmte Regulierung auf internationaler Ebene, weil sich die Krise nationalstaatlichen Maßnahmen entzieht.

Dabei müssen wir – und das ist eine weitere gute Nachricht – nicht bei Null anfangen sondern können auf bereits erreichte Fortschritte aufbauen. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst dieser Bundesregierung.

Es war die deutsche G7- und EU-Präsidentschaft, die schon im Weltwirtschaftsgipfel von Gleneagles mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dann im ersten Halbjahr 2007 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und mir das Thema einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte auf die internationale Agenda gesetzt hat.

Immerhin mit dem Erfolg, dass internationale Gremien jetzt – in dem Entsetzen über die Finanzkrise – weit reichenden Maßnahmen zur Krisenprävention zugestimmt haben und zielstrebig die Umsetzung dieser Maßnahmen betreiben, um zukünftig Krisen dieser Art zu verhindern.

Weil das so ist, macht es auch überhaupt keinen Sinn, wenn Experten oder die, die sich dafür halten, eine reine Kakaophonie von Vorschlägen unterbreiten. Tagtäglich gibt es einen ganzen Strauss davon.

Eine Forderung ist zum Beispiel, jetzt ganz schnell die Eigenkapitalunterlegung für die unsäglichen Verbriefungen und strukturierten Produkte zu erhöhen, die außerhalb der Bilanzen gehandelt wurden.

Ja, ich bin sicher, dazu wird es auf internationaler Ebene kommen müssen, aber doch nicht jetzt, mitten in der Krise, wo wir nur noch mehr Zusammenbrüche provozieren würden, weil wir die Institute mitten in der Krise neu belasten!

Was wurde bisher getan?

G7/FSF

Meine Damen und Herren,

sauber wird die Treppe nur dann gefegt, wenn wir sie mit dem regulatorischen Besen von oben nach unten kehren. Das heißt: Zuallererst sind regulierende Maßnahmen notwendig, die weltweit gelten. Auf der nächsten Ebene brauchen wir ein europäisches Level Playing Field und erst dann kommt die nationale Ebene.

Bereits kurz nach Beginn der Finanzmarktturbulenzen hat Deutschland im September 2007 das Forum für Finanzmarktstabilität (FSF) gebeten, eine Analyse und vor allem Empfehlungen vorzulegen, wie ähnliche Krisen in Zukunft verhindert werden können. Mir war wichtig, dass es zu einer Stärkung der Eigenkapitalanforderungen, einer Verbesserung des Liquiditäts- und Risikomanagement, einer Erhöhung der Transparenz und zu Reformen bei den Ratingagenturen kommt, die bei der Entstehung der Krise eine unrühmliche Rolle gespielt haben.

In einem Schreiben an meinen japanischen Amtskollegen und Vorsitzenden der G7-Finanzminsiter Anfang dieses Jahres habe ich diese drei Bereiche, in denen wir Verbesserungen brauchen, weiter ausgeführt. Vor allem habe ich mehr generelle Eigenkapitalpuffer als Stoßdämpfer für das Finanzmarktsystem vorgeschlagen. Im April 2008 hat dann das FSF seine Empfehlungen vorgelegt, die auf die von mir genannten Punkte fokussiert sind und die meine G7-Kollegen, ebenso wie die Bundeskanzlerin und ihre G8-Kollegen, nachdrücklich vorangetrieben haben.

Inzwischen hat die Umsetzung der Empfehlungen gute Fortschritte gemacht. Die vom FSF ausgearbeiteten 100-Tage-Prioritäten sind weitgehend umgesetzt. Sie umfassen wichtige Maßnahmen wie zum Beispiel die Offenlegung der Risiken durch die Banken, die Vorlage einer überarbeiteten Leitlinie für das Liquiditätsmanagement durch den Baseler Bankenausschuss sowie die Überarbeitung des Verhaltenskodex für Ratingagenturen durch die IOSCO.

Auch mit der Umsetzung der übrigen Empfehlungen geht es planmäßig voran. So hat beispielsweise der Baseler Bankenausschuss ein Konsultationspapier zur Berechung des spezifischen Risikos im Handelsbuch der Banken vorgelegt. Der Ausschuss hat zudem angekündigt, noch in diesem Jahr eine Leitlinie für eine Stärkung der Eigenkapitalanforderungen für bestimmte strukturierte Finanzprodukte und Liquiditätslinien an Zweckgesellschaften vorzulegen.

In Kürze - beim Treffen der G7 Finanzminister und Notenbankgouverneure in Washington DC im Oktober - werden wir einen umfangreichen Bericht über den Stand der Umsetzung der FSF-Empfehlungen erhalten. Gleichzeitig werden wir beraten, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen – unter anderem durch eine verbesserte Zusammenarbeit von IWF und FSF als „Frühwarnsystem“, wie wir das jüngst vorgeschlagen haben.

Größe und Tiefe der Krise verlangen, nicht bei dem stehen zu bleiben, was wir bereits im Frühjahr richtig erkannt haben.

EU-Ebene

Auch in der EU setzt sich Deutschland schon seit mehreren Jahren energisch und erfolgreich für eine Stärkung der Finanzstabilität ein.

Nach Ausbruch der Finanzkrise im Bankensektor vor einem Jahr hat der ECOFIN-Rat am 9. Oktober 2007 ein Arbeitsprogramm zur Stärkung der Effizienz und Stabilität der internationalen Finanzmärkte beschlossen.

Diese sog. „ECOFIN Roadmap“ enthält zahlreiche Maßnahmen, um Schwachstellen der internationalen Finanzmärkte zu beseitigen.

Bei diesen Maßnahmen geht es darum, die Aufsicht über die Finanzmärkte und das grenzüberschreitende Krisenmanagement zu stärken, die Transparenz an den Finanzmärkten zu erhöhen, Aufsichtsregeln zu Kapitalanforderungen und das Risikomanagement zu stärken sowie das Funktionieren von Märkten zu verbessern.

Auch bei der Umsetzung dieser „Roadmap“ gibt es Fortschritte. Einige grenzüberschreitende Gruppen der Aufsichtsbehörden sind eingerichtet. Ein Memorandum of Understanding zwischen den europäischen Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und Finanzministerien zur Stärkung des Krisenmanagements ist beschlossen worden.

Nationale Ebene

In Deutschland hat das das 3-säulige Universalbankensystem in der aktuellen Krise eine besonders wichtige Stabilisierungsankerfunktion übernommen.

Je fragiler die Situation auf den internationalen Finanzmärkten wird, desto mehr sollten wir dankbar sein, dass wir im dreigliedrigen deutschen Bankensystem öffentlich-rechtliche Sparkassen haben, die eben nicht – wie es Mark Twain einmal formuliert hat „bei schönem Wetter Regenschirme ausgeben, die sie bei den ersten Regentropfen wieder zurück haben wollen“, sondern die - salopp formuliert – bei steigendem Pegel sogar noch Gummistiefel austeilen und wegen ihrer Kenntnis vor Ort auch wissen, wo Dämme verstärkt werden müssen.

Auch und gerade vor dem Hintergrund dieser wichtigen realwirtschaftlichen Funktion der Sparkassen und Genossenschaftsbanken als Stabilitätsanker und angesichts der extremen Nervosität auf den Märkten kann ich der EU-Kommission nur dringend raten, z. B. im Falle der WestLB verantwortungsvoll und mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorzugehen.

Das heißt nicht, dass bei den Landesbanken alles beim alten bleiben kann. Wer es bis dato noch nicht wahr haben wollte, dem hat spätestens die Finanzmarktkrise mit aller Wucht gezeigt, dass das traditionelle Geschäftsmodell der Landesbanken nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht.

Deshalb muss es jetzt darum gehen, für einen konsolidierten Landesbankensektor neue Geschäftsmodelle zu definieren, mit denen die Landesbanken:

übermäßige Risiken von hoch volatilen Kapitalmarktgeschäften vermeiden,
nachhaltig angemessene Erträge erwirtschaften,
und die Sparkassen in ihrem Leistungsspektrum für die Kunden wirksam unterstützen können.

Schon seit langem sind hier die Bundesländer gefordert: Sie müssen regionale politische Egoismen überwinden und sich endlich überregionalen Zusammenschlüssen öffnen, um den Verbund der Sparkassen- Finanzgruppe und damit das deutsche Bankensystem insgesamt nachhaltig zu stärken.

Ich warne alle Beteiligten vor Planspielen mit falschen Annahmen. Vom Bund ist bei der Bereinigung der Probleme im Landesbankenbereich keine finanzielle Unterstützung zu erwarten!

Die Hausaufgaben müssen in den Ländern und zwischen diesen gemacht werden

Meine Damen und Herren,

um mehr Ratioanalität in den Finanzmarkt zu bringen und um den Risiken entgegenzuwirken, die mit Finanzinvestitionen für Unternehmen und Gesamtwirtschaft einhergehen, hat die Bundesregierung vor einigen Monaten das so genannte Risikobegrenzungsgesetz eingeführt.

Wir wollen damit die Transparenz, Klarheit und Rechtssicherheit auf dem Kapitalmarkt erhöhen. Wir wollen, dass der Einfluss, den Investoren alleine oder gemeinsam auf Unternehmen ausüben, in Übereinstimmung mit ihrem Stimmrechtsanteil steht.

Wir wollen verhindern, dass leistungsfähige Unternehmen durch die übermäßige Belastung mit Krediten ausgeplündert werden und wir wollen verhindern, dass zukunftsfähige Unternehmen alleine aus kurzfristigen Renditeerwägungen zerschlagen werden. Und wir wollen, dass vor allem diejenigen, die in der Regel als erste negativ von Übernahmen betroffen sind – also nicht die Manager, die sich nach erfolgter Übernahme mit mehr als auskömmlichen Abfindungen aus ihrem Unternehmen verabschieden, sondern die Belegschaften mit ihren Arbeitsplätzen – in die Lage versetzt werden, frühzeitig auf eine mögliche Übernahmen zu reagieren. Dabei kommt der Mitbestimmung eine große Bedeutung zu.

Darüber hinaus gibt es in Deutschland - als weiteren Stabilisierungspfeiler und im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedstaaten - bereits ein System zum Schutz der Versicherungsnehmer im Fall der Insolvenz einer Lebensversicherung. Wir werden uns dafür einsetzen, dass in diesen Segmenten auch auf europäischer Ebene im Rahmen von Solvency II eine Harmonisierung erfolgt.

Fazit/Ausblick

Meine Damen und Herren,

es gibt nichts zu beschönigen: wir befinden uns mitten in der schwersten Finanzkrise seit Jahrzehnten, in der wir allerdings - dank eines insgesamt erfolgreichen nationalen wie internationalen Krisenmanagements – den „Super-GAU“, den Kollaps des Weltfinanzsystems bisher verhindern konnten.

Niemand – kein Ökonom, kein Finanzminister und kein Zentralbankchef dieser Welt kann mit Bestimmtheit sagen, wie lange wir noch mit dieser Krise und ihren Begleiterscheinungen leben müssen.

Wenn jemand behauptet, er sehe Licht am Ende des Tunnels, dann sollte derjenige auch die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass es sich bei diesem Licht um die Scheinwerfer des entgegenkommenden Zuges handeln könnte.

Ich appelliere - auch angesichts des bislang erfolgreichen Krisenmanagements - an alle Verantwortlichen in der Politik und in den drei Säulen des deutschen Bankensystems: dies ist nicht der Zeitpunkt für kleinliche Diskussionen und kleinteilige Hakeleien, mit denen man versucht, auf Kosten des vermeintlichen Wettbewerbers kurzfristige Geländegewinne zu erzielen. Das gilt auch für die Politik.

Es ist der Zeitpunkt, um gemeinsam, mit vereinten Kräften durch die Krise durchzukommen und gleichzeitig das globale Finanzsystem stabiler zu machen. Nicht nur im Interesse der Finanzwirtschaft, sondern viel mehr noch im Interesse der Verbraucher, der Wirtschaft, aller Menschen in unserem Land.

Eine Erkenntnis aus der Krise lässt sich jetzt schon ziehen: Die Wall Street - das Epizentrum der Krise - wird nicht mehr das sein, was sie in den letzten Jahrzehnten war.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass wir – nach der Bankrotterklärung des auf weiten Teilen des Finanzmarktes in den letzten Jahrzehnten dominierenden „laissez-faire“-Kapitalismus – „neue Verkehrsregeln“ brauchen, wie es Helmut Schmidt jüngst formuliert hat.

Diese neuen Verkehrsregeln, an denen wir im G7- wie auch im europäischen Bereich bereits intensiv arbeiten, können nur handlungsfähige staatliche Institutionen, die sich international koordinieren, wirksam setzen und durchsetzen. Und zwar zum Wohle aller: der strauchelnden Finanzinstitute genauso wie der Privateinleger, die sich zurecht nach mehr staatlicher Sicherheit auf den Finanzmärkten sehnen.

Ich teile dezidiert die Auffassung von Herrn Röttgen, dass die Finanzmarktkrise die Idee der sozialen Marktwirtschaft auf lange Sicht weltweit stärken kann. Auch ich sehe in den Turbulenzen auf den Finanzmärkten nicht das Ende der marktwirtschaftlichen Ordnung. Aber die Krise zeigt eindeutig die Notwendigkeit und Aktualität von staatlichem Handeln, das den Märkten Spielregeln und damit auch Grenzen setzt.

In den vergangenen Jahren wurde viel geredet und geschrieben über Staatsversagen. Manches zu Recht. Ich weiß aus eigenem Erleben, dass staatliches Handeln nicht immer effizient abläuft. Aber zu wenig wurde geredet und geschrieben über Marktversagen. Dass es das real gibt, mit gravierenden Auswirkungen auf das Leben aller, erleben wir gerade jetzt.

Weder der bloße Ruf nach mehr Staat noch der simple Glaube an den wettbewerblichen Markt wird der Aufgabe gerecht, Wirtschaft so zu gestalten, dass alle an einem stabilen, möglichst krisenfreien Wachstum teilhaben können.

Staatliche Institutionen müssen im internationalen Verbund Rahmen setzen, Regeln definieren und für ihre Einhaltung sorgen.

Die Marktteilnehmer müssen diesen Rahmen kreativ ausfüllen –nicht getrieben von Gier und Kurzatmigkeit, sondern von Verantwortung für die Gesellschaft. Das ist unser, ist mein Verständnis von sozialer Marktwirtschaft. Das grenzt sich ab von jeglichem Neoliberalismus und Neo-Etatismus.

Meine Damen und Herren,

neue Verkehrsregeln für den Finanzmarkt sind notwendig – was heißt das konkret? Es heißt insbesondere:

Erstens: wir müssen zukünftig verhindern, dass Risiken durch Finanzinnovationen außerhalb der Bilanz platziert werden können. Wir wollen, dass Banken Risiken eingehen können, aber nur solche, die sie mit ausreichend Eigenkapital unterlegt und in der Bilanz aufgeführt haben. Nur eine solche Transparenz schützt vor vergleichbaren Krisen wie die gegenwärtige. Das bedeutet nicht, in Zukunft Finanzinnovationen zu verhindern, aber sie transparent zu machen – auch den Prozess ihrer Entstehung.

Zweitens: wir brauchen höhere Liquiditätsvorsorge bei den Banken.

Drittens: es muss internationale Standards für eine stärkere persönliche Haftung der verantwortlichen Finanzmarktakteure geben.

Viertens: Wir müssen wieder zu einem engeren Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite kommen. Das heißt auch: Es muss endlich Schluss sein mit dem wahnsinnigen Streben nach immer höherer Rendite, ein Quartal nach dem anderen. Allen Beteiligten muss klar sein, dass sich Renditen von 25 % auf Dauer nicht erzielen lassen, wenn darüber nicht unverhältnismäßig hohe Risiken in Kauf genommen werden oder andere Marktteilnehmer beschädigt werden sollen. Beherrschen lassen sich die entsprechenden Risiken offenkundig nicht.

Ein solches Renditerennen führt früher oder später in den Zusammenbruch der Märkte. Es ist schizophren, wenn die Anreiz- und Vergütungssysteme der Banken die Jagd nach Umsatzvolumen und Renditen befeuern, ohne die dabei eingegangen Risiken zu berücksichtigen. Das wollen wir ändern!

Fünftens: Wir brauchen eine deutlich engere Zusammenarbeit zwischen dem Financial Stability Forum und dem Internationalen Währungsfonds. Der IWF sollte die Kontrollinstanz für die Einhaltung weltweiter Finanzmarktstandards werden. Hierfür ist der IWF besonders geeignet.

Sechstens: Im Sinne von mehr Transparenz und Stabilität auf den Finanzmärkten müssen wir gemeinsam auf internationaler Ebene zu einem Verbot rein spekulativer Leerverkäufe kommen.

Siebtens: Um wieder ein nachhaltiges Risikobewusstsein bei den Banken zu erreichen, werde ich mich beim bevorstehenden G7-Treffen in Washington dafür einsetzen, dass Kreditrisiken, die Banken eingehen, von diesen nicht mehr zu 100% verbrieft und damit weitergereicht werden können. Aus meiner Sicht sollte das veräußernde Institut verpflichtet werden, bis zu 20% der eingegangenen Kreditrisiken in den eigenen Büchern zu behalten.

Über den angemessenen Prozentsatz, der einerseits hoch genug ist, um genügend Anreize für ein risikobewussteres Verhalten zu setzen, andererseits aber nicht so hoch ist, dass Geschäftstätigkeiten der Banken zu sehr eingeschränkt werden, muss in Washington geredet werden. Ich bin zuversichtlich, dass ein solcher Selbstbehalt der Banken die gleichen positiven Effekte auf das Risikobewusstsein haben wird wie der Selbstbehalt bei Ihrer und meiner Kraftfahrzeug-Versicherung.

Und achtens werde ich mich bei den europäischen Partnern für eine weitere europäische Harmonisierung der Aufsicht stark machen.

Ich bin zuversichtlich: Diese neuen Verkehrsregeln können dazu führen, dass zukünftige Finanzkrisen nicht mehr diese Sprengkraft entwickeln, wie es aktuell der Fall ist. Dafür lohnt es sich zu arbeiten – und das tun wir! Lassen Sie mich abschließend auf die Folgen für die deutsche Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte eingehen:

In Übereinstimmung mit dem Bundesbankpräsidenten sehe ich keine Kreditklemme, wohl aber eine Verschlechterung der Kreditkonditionen. Die Bürger müssen keine Angst um die Sicherung ihrer Einlagen haben.

Unsere Realwirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen. Die Abwärtsrisiken für die Konjunktur können wir nicht ignorieren.

In welchem Ausmaß die öffentlichen Haushalte betroffen sind, liegt an mehreren Faktoren:

Weniger an der realen als an der nominalen Wachstumsrate, die deutlich höher ist;

an der Reaktion der Steuereinnahmen auf die abgeschwächte Konjunktur (die Steuereinnahmen verzeichnen bisher keinen Einbruch);

an der Entwicklung des Arbeitsmarktes, die nach wie vor positiv ist;

und an der Fähigkeit unserer Wirtschaft, wieder Fahrt aufzunehmen, was immer noch von der US-Entwicklung abhängig ist, aber weniger als früher.
Die neue Wachstumsprojektion der Bundesregierung kommt Mitte Oktober und die neue Steuerschätzung Anfang November. Diese bleiben abzuwarten, ehe jemand mit eigenen Schätzungen versucht, Schlagzeilen zu erzielen.

Die Bundesregierung wird ihren Kurs beibehalten, ihren Planungen keine zweckoptimistischen Eckwerte zugrunde zu legen. Das wird Einfluss auf die laufenden Haushaltsberatungen haben und manche Wunschzettel oder eilfertigen Versprechungen aushebeln.

Das Ziel, gleichzeitig

die Konsolidierung fortzusetzen,

die automatischen Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte zur Geltung zu bringen, um die Konjunktur zur stützen,

gegenfinanzierte Entlastungen voranzutreiben

und Zukunftsinvestitionen zu finanzieren,
bleibt richtig.

Die Tugenden, die Max Weber vor 100 Jahren für einen Politiker beschrieben hat, sind aktueller denn je: Leidenschaft, Verantwortungsbewusstsein - und Augenmaß.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
[size=18]Regierungserklärung des Bundesministers der Finanzen Peer Steinbrück "Zur Lage der Finanzmärkte" im Deutschen Bundestag [/size]
Datum: 25.09.2008 08:52
Redner: BM Peer Steinbrück
Veranstaltungsort: Berlin

Lage an den Finanzmärkten

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

Immer mehr Unsicherheiten, ja Ängste machen sich breit bei den Menschen, nicht nur in unserem Land. Viele fragen sich: Stehen wir vor einem Kollaps des Finanzsystems? Folgt aus der Krise an den Finanzmärkten eine globale Wirtschaftskrise? Und was heißt das persönlich für mich? Deshalb am Anfang eine wichtige Feststellung: Bislang hat das internationale Krisenmanagement funktioniert. Es ist nicht zu einem Kollaps des Weltfinanzsystems gekommen. Und das, obwohl wir in den letzten Wochen an den Finanzmärkten eine weitere Zuspitzung der schlimmsten Bankenkrise seit Jahrzehnten erlebt haben.

Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat aus meiner Regierungserklärung zur Lage auf den Finanzmärkten beginnen, die ich am 15. Februar diesen Jahres abgegeben habe. Damals habe ich gesagt:

„Wir haben es in und zu Lasten weiter Teile der Welt mit einer ernsten Finanzmarktkrise zu tun. Sie wird uns weit in das Jahr 2008 beschäftigen. Sie ist kein deutsches Spezifikum. Sie birgt weitere, noch nicht gehobene Risiken. Infektionsgefahren für die weltweite Konjunktur- und Wachstumsentwicklung sind nicht zu übersehen.“

Leider sind diese von mir damals beschriebenen Risiken eingetreten. Diese ernste globale Finanzmarktkrise wird tiefe Spuren hinterlassen. Sie wird das Weltfinanzsystem tief greifend umwälzen. Niemand sollte sich täuschen: Die Welt wird nicht wieder so werden wie vor dieser Krise. Wir müssen uns in nächster Zeit weltweit auf niedrigere Wachstumsraten und - zeitlich verschoben – eine ungünstigere Entwicklung auf den Arbeitsmärkten einstellen.

Die Fernwirkungen der Krise sind derzeit nicht absehbar. Eines scheint mir aber wahrscheinlich: Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren. Das Weltfinanzsystem wird multipolarer.

In der neuen Finanzmarktwelt werden Staatsfonds und Handelsbanken aus Asien oder dem Nahen Osten ebenso ihren Anteil haben wie europäische Banken mit ihrem Universalbankenmodell – ein Modell, das sich übrigens dem amerikanischen Trennbankenmodell gerade jetzt als überlegen erwiesen hat.

Meine Damen und Herren,

seit dem Platzen der Immobilienblase in den USA sind vier Erschütterungswellen durch das Weltfinanzsystem gerollt:

Im Juli/August 2007 kam es ausgehend von der US-Subprime-Krise zu massiven Verlusten bei Bear Stearns und Northern Rock. Gleichzeitig mussten wir in Deutschland Rettungsaktionen für die IKB und die Sachsen LB organisiert mit dem Ziel, einen weitergehenden Schaden für den Finanzplatz Deutschland zu vermeiden. Das ist uns gelungen.

Ende 2007 melden US-Banken Milliardenabschreibungen. Zugleich ergeben sich ernste Liquiditätsengpässe für Banken, worauf Staatsfonds als Kapitalgeber einspringen.

Im März 2008 rettet die amerikanische FED Bear Stearns nach den größten Marktpreisverlusten, die es je in einem Monat gab.

Und in diesem schwarzen September geht schließlich die viertgrößte amerikanische Investmentbank, die über 150 Jahre alte Bank Lehman Brothers, in Insolvenz. Wenige Tage später wird der zweitgrößte Versicherer der Welt, die US-amerikanische AIG, mit 85 Mrd. US-$ ebenso quasi-verstaatlicht wie die US- Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac mit 200 Mrd. US-$. Als das alles nicht reicht, legt die US-Regierung das größte Rettungsprogramm in der Geschichte der internationalen Finanzmärkte auf – mit einem
unglaublichen Volumen von 700 Mrd. US-$!

Insgesamt müssen die USA über eine Billion US-$ neue Schulden machen, um die Finanzmarktkrise zu bewältigen! Das darf gelegentlich in einem Vergleich gegenüber den bisherigen Stützungsmaßnahmen des Bundes über die KfW bei der IKB in Höhe von 1,2 Mrd. € (und einer Bürgschaft von 600 Mio. €, deren Fälligkeit unwahrscheinlich ist) ins Verhältnis gesetzt werden.
Trotz allen Vorhersagen, dass die Krise nicht rasch vorüber sei, war ein solcher Reigen von Notübernahmen und quasi-Verstaatlichungen nicht zu erwarten. Und das in den USA, dem Hort der Marktwirtschaft und einer lautstark vorgetragenen neoliberalen Grundüberzeugung.

Die USA sind der Ursprungsort und der eindeutige Schwerpunkt der Krise. Hier wurden Hypothekenkredite an nicht kreditwürdige Kreditnehmer ohne jegliche Sicherheiten vergeben. Hier wurden diese immensen Kreditrisiken anschließend durch Verbriefungsgeschäfte unkenntlich gemacht.

Hier nahm das Rennen nach Rendite seinen Anfang. Von hier aus hat sich die Finanzmarktkrise weltweit wie ein giftiger Ölteppich ausgebreitet, zunehmend auch in Richtung Europa – auch wenn das Volumen der bislang bekannten Verluste in Europa in keiner Weise mit denjenigen in den USA zu vergleichen ist.

Dennoch: auch namhafte europäische Banken mussten bisher milliardenschwere Wertberichtigungen vornehmen. Nur einige Beispiele:

Credit Agricole (F): Wertberichtigungen von insgesamt 8,7 Mrd. US-$.

Societe Generale (F) Wertberichtigungen aus Subprimemarktgeschäften von 6,5 Mrd. US-$.

UBS AG (Schweiz) Verluste von sage und schreibe 44 Mrd. US-$! Damit hat UBS europaweit mit Abstand die höchsten Verluste.
Die Krise hat inzwischen Finanzdienstleister in ganz Europa erfasst. Was heißt das alles für Deutschland? Der deutsche Bankensektor wird von den krisenhaften Entwicklungen nicht verschont. Viele Institute sind betroffen, nicht nur die IKB, die Sachsen LB oder die West LB, d. h. nicht allein der öffentlich-rechtliche Sektor!

Zum Glück halten sich die Engagements deutscher Banken bei Lehman Brothers in einem überschaubaren Rahmen und sind verkraftbar.

Insgesamt zeigt sich, dass das deutsche 3-Säulen-System im internationalen Vergleich relativ robust ist. Die deutsche Aufsichtsbehörde, BaFin, ist sich sicher, dass die in den letzten Jahren gesteigerte Risikotragfähigkeit der deutschen Institute ausreicht, die Verluste auszugleichen und die Sicherheit der privaten Ersparnisse zu gewährleisten.

Mit Blick auf die Realwirtschaft sind wir in Deutschland in der vorteilhaften Lage, dass sich unsere Unternehmen, insbesondere der auf Kreditfinanzierungen angewiesene Mittelstand – trotz Abschwung und sich verschärfender Kreditkonditionen – bislang nicht einer Kreditklemme gegenübersehen. Das sieht im Übrigen auch der BDI-Präsident, Herr Thumann, so. Dass es in Deutschland nicht zu

einer Kreditklemme gekommen ist, haben wir vor allem den Sparkassen zu verdanken, die in den ersten Monaten dieses Jahres sogar mehr Kredite ausgegeben haben als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

In dieser größten Krise seit Jahrzehnten zeigt sich, dass das zu unserem Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft passende Universalbankensystem mit seinen drei Säulen der privaten Geschäftsbanken, der kommunalen Sparkassen und der regionalen Genossenschaftsinstitute wesentlich robuster ist, als es das anglo-amerikanische Trennbankensystem mit seiner überzogenen Renditefixierung war. Die vergleichsweise breite geschäftspolitische Aufstellung bewährt sich in der Krise. Es bewährt sich, dass wir in Deutschland nicht nur auf die Rendite geschaut haben – wir haben uns der ausschließlichen Fixierung auf kurzfristige Rendite und immer höhere Quartalsgewinne in zwei von drei Banksäulen weitgehend verweigert. Wir müssen gerade gegenüber Brüssel unser 3-Säulen-System verteidigen.

Tiefere ordnungspolitische Ursachen der Krise
Meine Damen und Herren,

wenn nach den Ursachen der Krise gefragt wird, dann lautet die Standard-Antwort: die US-Subprimemarktkrise. Vordergründig ist das richtig. Die eigentlichen Ursachen liegen jedoch tiefer – nämlich in einer aus meiner Sicht unverantwortlichen Überhöhung des „laissez-faire“-Prinzips, also dem von staatlicher Regulierung möglichst vollständig befreiten Spiel der Marktkräfte im anglo-amerikanischen Finanzmarktsystem.

Die Argumentation der „laissez-faire“-Vertreter war genauso einfach wie gefährlich: Lass den Markt mal machen, er ist am effizientesten, wenn der Staat sich mit Regulierung vollständig heraushält.

Der kurzfristige - oder sollte ich sagen: kurzsichtige - Erfolg - zweistellige Renditen und milliardenschwere Boni für Investmentbanker und –manager schien ihnen Recht zu geben. Darauf wollten weder in New York, noch Washington oder London Investmentbanker und Politiker verzichten.

Kritische Hinterfragungen dieses Systems sowie Lösungsvorschläge wie sie die Bundesregierung angestellt hat, wurden während unserer G7- und EU-Präsidentschaft belächelt oder als typische deutsche Regulierungsneigung vor der Finanzmarktkrise behandelt.

Von anglo-amerikanischer Seite wurde das dortige System mit einer Art „Absolutheitsanspruch“ versehen. Es wurde noch vor kurzer Zeit ziemlich vehement auf die möglichst globale Übernahme dieses Modells gedrängt. Verhängnisvolle Folge war, dass

die USA bei der Implementierung der stabilisierenden Basel II-Bankenregeln sehr zögerlich vorgegangen sind,

die USA wegen ihrer langen Weigerung erst 10 Jahre (!) nach Einführung der Financial Stability Assesment Programs (FSAPs) beim IWF eine Untersuchung ihres Finanzsystems haben werden,

die USA - anders als z.B. Deutschland - bislang die Investmentbanken nicht ausreichend reguliert und beaufsichtigt haben und

- anders als in vielen europäischen Ländern - nicht über eine Allfinanzaufsicht, sondern über eine stark zersplitterte Finanzaufsicht verfügen.
Dieses in weiten Teilen unzureichend regulierte System bricht gerade zusammen – mit weit reichenden Folgen für den US-Finanzmarkt und erheblichen Ansteckungseffekten für die übrige Welt. Einmal mehr scheint es in der Geschichte so zu sein, dass sich ein System, das maßlose Übertreibungen ermöglicht und geduldet hat, seine eigene Antithese schafft, sich letztlich selbst aufhebt.

Aktuelles Krisenmanagement
Meine Damen und Herren,

wie bei einem Patienten, der unter akuten Kreislaufproblemen leidet, kommt es auch bei einer Finanzmarktkrise im Rahmen des akuten Krisenmanagements zu allererst darauf an, einen Kollaps zu verhindern. Dazu müssen lebenserhaltende Prozesse und Funktionen stabilisiert werden, die in Stresssituationen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr ablaufen.

Angesicht der in den letzten Tagen zugespitzten Situation in den USA, hat die US-Regierung eine Reihe von Stabilisierungsmaßnahmen beschlossen - die ich ausdrücklich begrüße –, mit dem Ziel, den Kollaps des US-Finanzmarktes und damit Schlimmeres zu verhindern.

An oberster Stelle steht das bereits von mir erwähnte staatliche, 700 Mrd. US-$ schwere, Rettungsprogramm (troubled asset relief program). Es dient zum Aufkauf illiquider hypothekenbezogener Aktiva der Finanzinstitute. Jetzt muss der amerikanische Steuerzahler dafür zahlen, dass das Finanzmarktsystem trotz immer undurchsichtigerer Innovationen nicht ausreichend reguliert wurde. Ich bin sehr froh, dass der deutsche Steuerzahler bisher deutlich

niedriger belastet worden ist und belastet werden wird. Die bisherigen Kosten auch zu Lasten des Steuerzahlers stehen in einem weit geringeren Verhältnis gegenüber den Kosten, die entstanden wären, wenn wir – Bund und Länder – unseren Finanzmarkt nicht stabilisiert und eine weitergehende Erschütterung vermieden hätten.

Wie groß die Probleme in den USA aktuell sind, zeigt der Vergleich mit dem Programm zur Beilegung der „Savings- and Loans-Krise“. Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre entsprach das Rettungsprogramm in den USA ca. 3% des US-amerikanischen BIP – heute sind es bereits 5% des US-BIP.

Die Wall Street wird nie mehr so sein, wie sie war. Bis vor wenigen Tagen gab es noch zwei letzte Mohikaner unter den Investmentbanken. Inzwischen gilt auch das nicht mehr. Die letzten beiden übrig gebliebenen großen US-Investmentbanken, Morgan Stanley und Goldman Sachs, sind in gewöhnliche Bank-Holdings umgewandelt worden. Damit fallen sie stärker unter die Kontrolle der nationalen Bankregulierung. Sie verlieren damit – Gott sei Dank – sehr viel Spielraum für riskante Anlageprodukte.

Meine Damen und Herren,

die Entwicklungen bei

den US-Investmentbanken Bear Stearns, und

Lehman Brothers,

bei den beiden Hypothekenfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac sowie

zuletzt beim US-Versicherungsunternehmen AIG
spiegeln ein schwieriges Abwägungsproblem wider, vor dem alle staatlichen Autoritäten stehen – der Abwägung zwischen dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes einerseits und der Vermeidung einer Ausnutzung staatlicher Unterstützung durch Marktteilnehmer („moral hazard“) andererseits.

Staatliche Autoritäten müssen immer abwägen - und zwar unter Ungewissheit, bei unvollständigen Informationen - zwischen der Gefahr systemischer Krisen für den gesamten Finanzmarkt und der Gefahr, von Marktteilnehmern, ausgenutzt zu werden. Solchen Marktteilnehmern, die darauf spekulieren, dass der Staat mit Steuergeldern oder die Notenbanken mit frischem Geld intervenieren, das schlimmste verhindern und somit das riskante Geschäftsgebaren dieser Marktteilnehmer im Nachhinein sogar noch belohnen.

Ich kritisiere die staatlichen Stellen in den USA für ihr spätes Vorgehen, aber ich begrüße ihr differenziertes Vorgehen. Die staatlichen Autoritäten in den USA haben nicht jedes Institut gerettet, aber sie haben dann zugegriffen, wenn es notwendig war, um zu verhindern, dass es zu einem Zusammenbruch des Finanzmarktsystems gekommen wäre.

Dabei entbehren die Diskussionen um Rettungsaktionen diesseits und jenseits des Atlantiks nicht einer gewissen politischen Scheinheiligkeit: Da werden im Fall der USA die milliarden- bis billionenschweren Rettungsaktionen der Regierung als Beleg für die Tatkraft und Handlungsfähigkeit der Regierung gelobt.

In Deutschland werden dagegen die eingesetzten Steuergelder als Versagen des Staates beklagt. Da wird der amerikanische Finanzminister zum Mann der Stunde, dem das Magazin „Newsweek“ sein Cover mit dem Titel „King Henry“ gönnt und hier wird gerade so getan, als wären die an der IKB-Rettung Beteiligten eine Zusammenrottung von Ignoranten. Das sind sie nicht.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir brauchen kein Titelbild – was ich aber einfordere, ist etwas mehr Ausgewogenheit und weniger Beliebigkeit in der politischen Diskussion der Finanzmarktkrise!

Meine Damen und Herren,

wir müssen uns über Eines im Klaren sein:

Was die USA mit dem 700 Mrd. US-$-Rettungsprogramm jetzt im großen Stil vollziehen ist etwas, dass wir in Deutschland ganz gezielt für die betroffenen Banken wie die IKB, Sachsen LB, Bayern LB und West LB bereits vor Monaten vollzogen haben.

Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns andere sind, ist ein ähnliches Programm in Deutschland oder Europa weder notwendig noch sinnvoll. Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem! Diese Haltung wird im Übrigen auch von den anderen G7-Finanzministern in Kontinentaleuropa geteilt.

Das bedeutet nicht, dass die deutsche Politik untätig ist. Im Gegenteil: Bundesfinanzministerium, BaFin und Deutsche Bundesbank stehen in engem Kontakt mit ihren jeweiligen internationalen Partnerbehörden und den Spitzen der deutschen Kreditwirtschaft. Das Krisenmanagement hat bisher geklappt.

Für den heutigen Nachmittag habe ich die wichtigsten Vertreter der deutschen Finanzwirtschaft zu einem Austausch - nicht zu einem Krisengipfel – eingeladen. Mit den Vertretern der Bankenwirtschaft und der Versicherungswirtschaft will ich diskutieren, wie sie die Lage zu beurteilen und bewerten.

Das Gespräch dient darüber hinaus auch der Vorbereitung des G7-Finanzministertreffens am 10./11. Oktober in Washington.

Zum wirksamen aktuellen Krisenmanagement gehört auch, dass die BaFin ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot zur Sicherung der Vermögenswerte gegenüber der Lehman Brothers Bankhaus AG erlassen hat. Außerdem hat die BaFin - entsprechend dem Vorgehen in anderen Ländern, wie den USA und Großbritannien, und in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen – am vergangenen Freitag ein sofortiges Verbot von Leerverkäufen in Aktien führender Unternehmen der Finanzbranche erlassen.

Damit wird verhindert, dass durch pure Spekulation provozierte exzessive Bewegungen in den Aktienkursen wichtiger Unternehmen der Finanzbranche die Finanzmärkte zusätzlich verunsichern und dadurch die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

Krisenprävention - Wie können vergleichbare Finanzmarktkrisen in Zukunft verhindert werden?
Meine Damen und Herren,

eines ist völlig klar: Um das in den und gegenüber den Finanzmärkten und ihren Akteuren massiv verloren gegangene Vertrauen wieder zurück zu gewinnen, wird es bei weitem nicht ausreichen, dass wir uns mit der akuten Krisenbewältigung begnügen.

Krise bewältigen und dann wieder zur Tagesordnung übergehen – das reicht nicht!

Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als die Finanzmärkte so zu sagen „neu zu zivilisieren“ und darüber vergleichbare Krisen in der Zukunft möglichst zu verhindern.

Wie können wir das erreichen? Sicher nicht allein durch moralische Appelle gegen spekulative Zügellosigkeit und exzessive Übertreibungen.

Eine wirksame mittel- bis langfristige Antwort auf die Krise kann deshalb nicht allein in erneuten Selbstverpflichtungserklärungen oder Selbstregulierungen der Finanzmarktindustrie liegen. Das reicht nicht! Die mir wichtige Antwort ist eine stärkere, international abgestimmte Regulierung auf internationaler Ebene, weil sich die Krise nationalstaatlichen Maßnahmen entzieht.

Dabei müssen wir – und das ist eine weitere gute Nachricht – nicht bei Null anfangen sondern können auf bereits erreichte Fortschritte aufbauen. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst dieser Bundesregierung.

Es war die deutsche G7- und EU-Präsidentschaft, die schon im Weltwirtschaftsgipfel von Gleneagles mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dann im ersten Halbjahr 2007 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und mir das Thema einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte auf die internationale Agenda gesetzt hat.

Immerhin mit dem Erfolg, dass internationale Gremien jetzt – in dem Entsetzen über die Finanzkrise – weit reichenden Maßnahmen zur Krisenprävention zugestimmt haben und zielstrebig die Umsetzung dieser Maßnahmen betreiben, um zukünftig Krisen dieser Art zu verhindern.

Weil das so ist, macht es auch überhaupt keinen Sinn, wenn Experten oder die, die sich dafür halten, eine reine Kakaophonie von Vorschlägen unterbreiten. Tagtäglich gibt es einen ganzen Strauss davon.

Eine Forderung ist zum Beispiel, jetzt ganz schnell die Eigenkapitalunterlegung für die unsäglichen Verbriefungen und strukturierten Produkte zu erhöhen, die außerhalb der Bilanzen gehandelt wurden.

Ja, ich bin sicher, dazu wird es auf internationaler Ebene kommen müssen, aber doch nicht jetzt, mitten in der Krise, wo wir nur noch mehr Zusammenbrüche provozieren würden, weil wir die Institute mitten in der Krise neu belasten!

Was wurde bisher getan?

G7/FSF

Meine Damen und Herren,

sauber wird die Treppe nur dann gefegt, wenn wir sie mit dem regulatorischen Besen von oben nach unten kehren. Das heißt: Zuallererst sind regulierende Maßnahmen notwendig, die weltweit gelten. Auf der nächsten Ebene brauchen wir ein europäisches Level Playing Field und erst dann kommt die nationale Ebene.

Bereits kurz nach Beginn der Finanzmarktturbulenzen hat Deutschland im September 2007 das Forum für Finanzmarktstabilität (FSF) gebeten, eine Analyse und vor allem Empfehlungen vorzulegen, wie ähnliche Krisen in Zukunft verhindert werden können. Mir war wichtig, dass es zu einer Stärkung der Eigenkapitalanforderungen, einer Verbesserung des Liquiditäts- und Risikomanagement, einer Erhöhung der Transparenz und zu Reformen bei den Ratingagenturen kommt, die bei der Entstehung der Krise eine unrühmliche Rolle gespielt haben.

In einem Schreiben an meinen japanischen Amtskollegen und Vorsitzenden der G7-Finanzminsiter Anfang dieses Jahres habe ich diese drei Bereiche, in denen wir Verbesserungen brauchen, weiter ausgeführt. Vor allem habe ich mehr generelle Eigenkapitalpuffer als Stoßdämpfer für das Finanzmarktsystem vorgeschlagen. Im April 2008 hat dann das FSF seine Empfehlungen vorgelegt, die auf die von mir genannten Punkte fokussiert sind und die meine G7-Kollegen, ebenso wie die Bundeskanzlerin und ihre G8-Kollegen, nachdrücklich vorangetrieben haben.

Inzwischen hat die Umsetzung der Empfehlungen gute Fortschritte gemacht. Die vom FSF ausgearbeiteten 100-Tage-Prioritäten sind weitgehend umgesetzt. Sie umfassen wichtige Maßnahmen wie zum Beispiel die Offenlegung der Risiken durch die Banken, die Vorlage einer überarbeiteten Leitlinie für das Liquiditätsmanagement durch den Baseler Bankenausschuss sowie die Überarbeitung des Verhaltenskodex für Ratingagenturen durch die IOSCO.

Auch mit der Umsetzung der übrigen Empfehlungen geht es planmäßig voran. So hat beispielsweise der Baseler Bankenausschuss ein Konsultationspapier zur Berechung des spezifischen Risikos im Handelsbuch der Banken vorgelegt. Der Ausschuss hat zudem angekündigt, noch in diesem Jahr eine Leitlinie für eine Stärkung der Eigenkapitalanforderungen für bestimmte strukturierte Finanzprodukte und Liquiditätslinien an Zweckgesellschaften vorzulegen.

In Kürze - beim Treffen der G7 Finanzminister und Notenbankgouverneure in Washington DC im Oktober - werden wir einen umfangreichen Bericht über den Stand der Umsetzung der FSF-Empfehlungen erhalten. Gleichzeitig werden wir beraten, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen – unter anderem durch eine verbesserte Zusammenarbeit von IWF und FSF als „Frühwarnsystem“, wie wir das jüngst vorgeschlagen haben.

Größe und Tiefe der Krise verlangen, nicht bei dem stehen zu bleiben, was wir bereits im Frühjahr richtig erkannt haben.

EU-Ebene

Auch in der EU setzt sich Deutschland schon seit mehreren Jahren energisch und erfolgreich für eine Stärkung der Finanzstabilität ein.

Nach Ausbruch der Finanzkrise im Bankensektor vor einem Jahr hat der ECOFIN-Rat am 9. Oktober 2007 ein Arbeitsprogramm zur Stärkung der Effizienz und Stabilität der internationalen Finanzmärkte beschlossen.

Diese sog. „ECOFIN Roadmap“ enthält zahlreiche Maßnahmen, um Schwachstellen der internationalen Finanzmärkte zu beseitigen.

Bei diesen Maßnahmen geht es darum, die Aufsicht über die Finanzmärkte und das grenzüberschreitende Krisenmanagement zu stärken, die Transparenz an den Finanzmärkten zu erhöhen, Aufsichtsregeln zu Kapitalanforderungen und das Risikomanagement zu stärken sowie das Funktionieren von Märkten zu verbessern.

Auch bei der Umsetzung dieser „Roadmap“ gibt es Fortschritte. Einige grenzüberschreitende Gruppen der Aufsichtsbehörden sind eingerichtet. Ein Memorandum of Understanding zwischen den europäischen Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und Finanzministerien zur Stärkung des Krisenmanagements ist beschlossen worden.

Nationale Ebene

In Deutschland hat das das 3-säulige Universalbankensystem in der aktuellen Krise eine besonders wichtige Stabilisierungsankerfunktion übernommen.

Je fragiler die Situation auf den internationalen Finanzmärkten wird, desto mehr sollten wir dankbar sein, dass wir im dreigliedrigen deutschen Bankensystem öffentlich-rechtliche Sparkassen haben, die eben nicht – wie es Mark Twain einmal formuliert hat „bei schönem Wetter Regenschirme ausgeben, die sie bei den ersten Regentropfen wieder zurück haben wollen“, sondern die - salopp formuliert – bei steigendem Pegel sogar noch Gummistiefel austeilen und wegen ihrer Kenntnis vor Ort auch wissen, wo Dämme verstärkt werden müssen.

Auch und gerade vor dem Hintergrund dieser wichtigen realwirtschaftlichen Funktion der Sparkassen und Genossenschaftsbanken als Stabilitätsanker und angesichts der extremen Nervosität auf den Märkten kann ich der EU-Kommission nur dringend raten, z. B. im Falle der WestLB verantwortungsvoll und mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorzugehen.

Das heißt nicht, dass bei den Landesbanken alles beim alten bleiben kann. Wer es bis dato noch nicht wahr haben wollte, dem hat spätestens die Finanzmarktkrise mit aller Wucht gezeigt, dass das traditionelle Geschäftsmodell der Landesbanken nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht.

Deshalb muss es jetzt darum gehen, für einen konsolidierten Landesbankensektor neue Geschäftsmodelle zu definieren, mit denen die Landesbanken:

übermäßige Risiken von hoch volatilen Kapitalmarktgeschäften vermeiden,
nachhaltig angemessene Erträge erwirtschaften,
und die Sparkassen in ihrem Leistungsspektrum für die Kunden wirksam unterstützen können.

Schon seit langem sind hier die Bundesländer gefordert: Sie müssen regionale politische Egoismen überwinden und sich endlich überregionalen Zusammenschlüssen öffnen, um den Verbund der Sparkassen- Finanzgruppe und damit das deutsche Bankensystem insgesamt nachhaltig zu stärken.

Ich warne alle Beteiligten vor Planspielen mit falschen Annahmen. Vom Bund ist bei der Bereinigung der Probleme im Landesbankenbereich keine finanzielle Unterstützung zu erwarten!

Die Hausaufgaben müssen in den Ländern und zwischen diesen gemacht werden

Meine Damen und Herren,

um mehr Ratioanalität in den Finanzmarkt zu bringen und um den Risiken entgegenzuwirken, die mit Finanzinvestitionen für Unternehmen und Gesamtwirtschaft einhergehen, hat die Bundesregierung vor einigen Monaten das so genannte Risikobegrenzungsgesetz eingeführt.

Wir wollen damit die Transparenz, Klarheit und Rechtssicherheit auf dem Kapitalmarkt erhöhen. Wir wollen, dass der Einfluss, den Investoren alleine oder gemeinsam auf Unternehmen ausüben, in Übereinstimmung mit ihrem Stimmrechtsanteil steht.

Wir wollen verhindern, dass leistungsfähige Unternehmen durch die übermäßige Belastung mit Krediten ausgeplündert werden und wir wollen verhindern, dass zukunftsfähige Unternehmen alleine aus kurzfristigen Renditeerwägungen zerschlagen werden. Und wir wollen, dass vor allem diejenigen, die in der Regel als erste negativ von Übernahmen betroffen sind – also nicht die Manager, die sich nach erfolgter Übernahme mit mehr als auskömmlichen Abfindungen aus ihrem Unternehmen verabschieden, sondern die Belegschaften mit ihren Arbeitsplätzen – in die Lage versetzt werden, frühzeitig auf eine mögliche Übernahmen zu reagieren. Dabei kommt der Mitbestimmung eine große Bedeutung zu.

Darüber hinaus gibt es in Deutschland - als weiteren Stabilisierungspfeiler und im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedstaaten - bereits ein System zum Schutz der Versicherungsnehmer im Fall der Insolvenz einer Lebensversicherung. Wir werden uns dafür einsetzen, dass in diesen Segmenten auch auf europäischer Ebene im Rahmen von Solvency II eine Harmonisierung erfolgt.

Fazit/Ausblick

Meine Damen und Herren,

es gibt nichts zu beschönigen: wir befinden uns mitten in der schwersten Finanzkrise seit Jahrzehnten, in der wir allerdings - dank eines insgesamt erfolgreichen nationalen wie internationalen Krisenmanagements – den „Super-GAU“, den Kollaps des Weltfinanzsystems bisher verhindern konnten.

Niemand – kein Ökonom, kein Finanzminister und kein Zentralbankchef dieser Welt kann mit Bestimmtheit sagen, wie lange wir noch mit dieser Krise und ihren Begleiterscheinungen leben müssen.

Wenn jemand behauptet, er sehe Licht am Ende des Tunnels, dann sollte derjenige auch die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass es sich bei diesem Licht um die Scheinwerfer des entgegenkommenden Zuges handeln könnte.

Ich appelliere - auch angesichts des bislang erfolgreichen Krisenmanagements - an alle Verantwortlichen in der Politik und in den drei Säulen des deutschen Bankensystems: dies ist nicht der Zeitpunkt für kleinliche Diskussionen und kleinteilige Hakeleien, mit denen man versucht, auf Kosten des vermeintlichen Wettbewerbers kurzfristige Geländegewinne zu erzielen. Das gilt auch für die Politik.

Es ist der Zeitpunkt, um gemeinsam, mit vereinten Kräften durch die Krise durchzukommen und gleichzeitig das globale Finanzsystem stabiler zu machen. Nicht nur im Interesse der Finanzwirtschaft, sondern viel mehr noch im Interesse der Verbraucher, der Wirtschaft, aller Menschen in unserem Land.

Eine Erkenntnis aus der Krise lässt sich jetzt schon ziehen: Die Wall Street - das Epizentrum der Krise - wird nicht mehr das sein, was sie in den letzten Jahrzehnten war.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass wir – nach der Bankrotterklärung des auf weiten Teilen des Finanzmarktes in den letzten Jahrzehnten dominierenden „laissez-faire“-Kapitalismus – „neue Verkehrsregeln“ brauchen, wie es Helmut Schmidt jüngst formuliert hat.

Diese neuen Verkehrsregeln, an denen wir im G7- wie auch im europäischen Bereich bereits intensiv arbeiten, können nur handlungsfähige staatliche Institutionen, die sich international koordinieren, wirksam setzen und durchsetzen. Und zwar zum Wohle aller: der strauchelnden Finanzinstitute genauso wie der Privateinleger, die sich zurecht nach mehr staatlicher Sicherheit auf den Finanzmärkten sehnen.

Ich teile dezidiert die Auffassung von Herrn Röttgen, dass die Finanzmarktkrise die Idee der sozialen Marktwirtschaft auf lange Sicht weltweit stärken kann. Auch ich sehe in den Turbulenzen auf den Finanzmärkten nicht das Ende der marktwirtschaftlichen Ordnung. Aber die Krise zeigt eindeutig die Notwendigkeit und Aktualität von staatlichem Handeln, das den Märkten Spielregeln und damit auch Grenzen setzt.

In den vergangenen Jahren wurde viel geredet und geschrieben über Staatsversagen. Manches zu Recht. Ich weiß aus eigenem Erleben, dass staatliches Handeln nicht immer effizient abläuft. Aber zu wenig wurde geredet und geschrieben über Marktversagen. Dass es das real gibt, mit gravierenden Auswirkungen auf das Leben aller, erleben wir gerade jetzt.

Weder der bloße Ruf nach mehr Staat noch der simple Glaube an den wettbewerblichen Markt wird der Aufgabe gerecht, Wirtschaft so zu gestalten, dass alle an einem stabilen, möglichst krisenfreien Wachstum teilhaben können.

Staatliche Institutionen müssen im internationalen Verbund Rahmen setzen, Regeln definieren und für ihre Einhaltung sorgen.

Die Marktteilnehmer müssen diesen Rahmen kreativ ausfüllen –nicht getrieben von Gier und Kurzatmigkeit, sondern von Verantwortung für die Gesellschaft. Das ist unser, ist mein Verständnis von sozialer Marktwirtschaft. Das grenzt sich ab von jeglichem Neoliberalismus und Neo-Etatismus.

Meine Damen und Herren,

neue Verkehrsregeln für den Finanzmarkt sind notwendig – was heißt das konkret? Es heißt insbesondere:

Erstens: wir müssen zukünftig verhindern, dass Risiken durch Finanzinnovationen außerhalb der Bilanz platziert werden können. Wir wollen, dass Banken Risiken eingehen können, aber nur solche, die sie mit ausreichend Eigenkapital unterlegt und in der Bilanz aufgeführt haben. Nur eine solche Transparenz schützt vor vergleichbaren Krisen wie die gegenwärtige. Das bedeutet nicht, in Zukunft Finanzinnovationen zu verhindern, aber sie transparent zu machen – auch den Prozess ihrer Entstehung.

Zweitens: wir brauchen höhere Liquiditätsvorsorge bei den Banken.

Drittens: es muss internationale Standards für eine stärkere persönliche Haftung der verantwortlichen Finanzmarktakteure geben.

Viertens: Wir müssen wieder zu einem engeren Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite kommen. Das heißt auch: Es muss endlich Schluss sein mit dem wahnsinnigen Streben nach immer höherer Rendite, ein Quartal nach dem anderen. Allen Beteiligten muss klar sein, dass sich Renditen von 25 % auf Dauer nicht erzielen lassen, wenn darüber nicht unverhältnismäßig hohe Risiken in Kauf genommen werden oder andere Marktteilnehmer beschädigt werden sollen. Beherrschen lassen sich die entsprechenden Risiken offenkundig nicht.

Ein solches Renditerennen führt früher oder später in den Zusammenbruch der Märkte. Es ist schizophren, wenn die Anreiz- und Vergütungssysteme der Banken die Jagd nach Umsatzvolumen und Renditen befeuern, ohne die dabei eingegangen Risiken zu berücksichtigen. Das wollen wir ändern!

Fünftens: Wir brauchen eine deutlich engere Zusammenarbeit zwischen dem Financial Stability Forum und dem Internationalen Währungsfonds. Der IWF sollte die Kontrollinstanz für die Einhaltung weltweiter Finanzmarktstandards werden. Hierfür ist der IWF besonders geeignet.

Sechstens: Im Sinne von mehr Transparenz und Stabilität auf den Finanzmärkten müssen wir gemeinsam auf internationaler Ebene zu einem Verbot rein spekulativer Leerverkäufe kommen.

Siebtens: Um wieder ein nachhaltiges Risikobewusstsein bei den Banken zu erreichen, werde ich mich beim bevorstehenden G7-Treffen in Washington dafür einsetzen, dass Kreditrisiken, die Banken eingehen, von diesen nicht mehr zu 100% verbrieft und damit weitergereicht werden können. Aus meiner Sicht sollte das veräußernde Institut verpflichtet werden, bis zu 20% der eingegangenen Kreditrisiken in den eigenen Büchern zu behalten.

Über den angemessenen Prozentsatz, der einerseits hoch genug ist, um genügend Anreize für ein risikobewussteres Verhalten zu setzen, andererseits aber nicht so hoch ist, dass Geschäftstätigkeiten der Banken zu sehr eingeschränkt werden, muss in Washington geredet werden. Ich bin zuversichtlich, dass ein solcher Selbstbehalt der Banken die gleichen positiven Effekte auf das Risikobewusstsein haben wird wie der Selbstbehalt bei Ihrer und meiner Kraftfahrzeug-Versicherung.

Und achtens werde ich mich bei den europäischen Partnern für eine weitere europäische Harmonisierung der Aufsicht stark machen.

Ich bin zuversichtlich: Diese neuen Verkehrsregeln können dazu führen, dass zukünftige Finanzkrisen nicht mehr diese Sprengkraft entwickeln, wie es aktuell der Fall ist. Dafür lohnt es sich zu arbeiten – und das tun wir! Lassen Sie mich abschließend auf die Folgen für die deutsche Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte eingehen:

In Übereinstimmung mit dem Bundesbankpräsidenten sehe ich keine Kreditklemme, wohl aber eine Verschlechterung der Kreditkonditionen. Die Bürger müssen keine Angst um die Sicherung ihrer Einlagen haben.

Unsere Realwirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen. Die Abwärtsrisiken für die Konjunktur können wir nicht ignorieren.

In welchem Ausmaß die öffentlichen Haushalte betroffen sind, liegt an mehreren Faktoren:

Weniger an der realen als an der nominalen Wachstumsrate, die deutlich höher ist;

an der Reaktion der Steuereinnahmen auf die abgeschwächte Konjunktur (die Steuereinnahmen verzeichnen bisher keinen Einbruch);

an der Entwicklung des Arbeitsmarktes, die nach wie vor positiv ist;

und an der Fähigkeit unserer Wirtschaft, wieder Fahrt aufzunehmen, was immer noch von der US-Entwicklung abhängig ist, aber weniger als früher.
Die neue Wachstumsprojektion der Bundesregierung kommt Mitte Oktober und die neue Steuerschätzung Anfang November. Diese bleiben abzuwarten, ehe jemand mit eigenen Schätzungen versucht, Schlagzeilen zu erzielen.

Die Bundesregierung wird ihren Kurs beibehalten, ihren Planungen keine zweckoptimistischen Eckwerte zugrunde zu legen. Das wird Einfluss auf die laufenden Haushaltsberatungen haben und manche Wunschzettel oder eilfertigen Versprechungen aushebeln.

Das Ziel, gleichzeitig

die Konsolidierung fortzusetzen,

die automatischen Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte zur Geltung zu bringen, um die Konjunktur zur stützen,

gegenfinanzierte Entlastungen voranzutreiben

und Zukunftsinvestitionen zu finanzieren,
bleibt richtig.

Die Tugenden, die Max Weber vor 100 Jahren für einen Politiker beschrieben hat, sind aktueller denn je: Leidenschaft, Verantwortungsbewusstsein - und Augenmaß.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit![size=18]Regierungserklärung des Bundesministers der Finanzen Peer Steinbrück "Zur Lage der Finanzmärkte" im Deutschen Bundestag [/size]
Datum: 25.09.2008 08:52
Redner: BM Peer Steinbrück
Veranstaltungsort: Berlin

Lage an den Finanzmärkten

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

Immer mehr Unsicherheiten, ja Ängste machen sich breit bei den Menschen, nicht nur in unserem Land. Viele fragen sich: Stehen wir vor einem Kollaps des Finanzsystems? Folgt aus der Krise an den Finanzmärkten eine globale Wirtschaftskrise? Und was heißt das persönlich für mich? Deshalb am Anfang eine wichtige Feststellung: Bislang hat das internationale Krisenmanagement funktioniert. Es ist nicht zu einem Kollaps des Weltfinanzsystems gekommen. Und das, obwohl wir in den letzten Wochen an den Finanzmärkten eine weitere Zuspitzung der schlimmsten Bankenkrise seit Jahrzehnten erlebt haben.

Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat aus meiner Regierungserklärung zur Lage auf den Finanzmärkten beginnen, die ich am 15. Februar diesen Jahres abgegeben habe. Damals habe ich gesagt:

„Wir haben es in und zu Lasten weiter Teile der Welt mit einer ernsten Finanzmarktkrise zu tun. Sie wird uns weit in das Jahr 2008 beschäftigen. Sie ist kein deutsches Spezifikum. Sie birgt weitere, noch nicht gehobene Risiken. Infektionsgefahren für die weltweite Konjunktur- und Wachstumsentwicklung sind nicht zu übersehen.“

Leider sind diese von mir damals beschriebenen Risiken eingetreten. Diese ernste globale Finanzmarktkrise wird tiefe Spuren hinterlassen. Sie wird das Weltfinanzsystem tief greifend umwälzen. Niemand sollte sich täuschen: Die Welt wird nicht wieder so werden wie vor dieser Krise. Wir müssen uns in nächster Zeit weltweit auf niedrigere Wachstumsraten und - zeitlich verschoben – eine ungünstigere Entwicklung auf den Arbeitsmärkten einstellen.

Die Fernwirkungen der Krise sind derzeit nicht absehbar. Eines scheint mir aber wahrscheinlich: Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren. Das Weltfinanzsystem wird multipolarer.

In der neuen Finanzmarktwelt werden Staatsfonds und Handelsbanken aus Asien oder dem Nahen Osten ebenso ihren Anteil haben wie europäische Banken mit ihrem Universalbankenmodell – ein Modell, das sich übrigens dem amerikanischen Trennbankenmodell gerade jetzt als überlegen erwiesen hat.

Meine Damen und Herren,

seit dem Platzen der Immobilienblase in den USA sind vier Erschütterungswellen durch das Weltfinanzsystem gerollt:

Im Juli/August 2007 kam es ausgehend von der US-Subprime-Krise zu massiven Verlusten bei Bear Stearns und Northern Rock. Gleichzeitig mussten wir in Deutschland Rettungsaktionen für die IKB und die Sachsen LB organisiert mit dem Ziel, einen weitergehenden Schaden für den Finanzplatz Deutschland zu vermeiden. Das ist uns gelungen.

Ende 2007 melden US-Banken Milliardenabschreibungen. Zugleich ergeben sich ernste Liquiditätsengpässe für Banken, worauf Staatsfonds als Kapitalgeber einspringen.

Im März 2008 rettet die amerikanische FED Bear Stearns nach den größten Marktpreisverlusten, die es je in einem Monat gab.

Und in diesem schwarzen September geht schließlich die viertgrößte amerikanische Investmentbank, die über 150 Jahre alte Bank Lehman Brothers, in Insolvenz. Wenige Tage später wird der zweitgrößte Versicherer der Welt, die US-amerikanische AIG, mit 85 Mrd. US-$ ebenso quasi-verstaatlicht wie die US- Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac mit 200 Mrd. US-$. Als das alles nicht reicht, legt die US-Regierung das größte Rettungsprogramm in der Geschichte der internationalen Finanzmärkte auf – mit einem
unglaublichen Volumen von 700 Mrd. US-$!

Insgesamt müssen die USA über eine Billion US-$ neue Schulden machen, um die Finanzmarktkrise zu bewältigen! Das darf gelegentlich in einem Vergleich gegenüber den bisherigen Stützungsmaßnahmen des Bundes über die KfW bei der IKB in Höhe von 1,2 Mrd. € (und einer Bürgschaft von 600 Mio. €, deren Fälligkeit unwahrscheinlich ist) ins Verhältnis gesetzt werden.
Trotz allen Vorhersagen, dass die Krise nicht rasch vorüber sei, war ein solcher Reigen von Notübernahmen und quasi-Verstaatlichungen nicht zu erwarten. Und das in den USA, dem Hort der Marktwirtschaft und einer lautstark vorgetragenen neoliberalen Grundüberzeugung.

Die USA sind der Ursprungsort und der eindeutige Schwerpunkt der Krise. Hier wurden Hypothekenkredite an nicht kreditwürdige Kreditnehmer ohne jegliche Sicherheiten vergeben. Hier wurden diese immensen Kreditrisiken anschließend durch Verbriefungsgeschäfte unkenntlich gemacht.

Hier nahm das Rennen nach Rendite seinen Anfang. Von hier aus hat sich die Finanzmarktkrise weltweit wie ein giftiger Ölteppich ausgebreitet, zunehmend auch in Richtung Europa – auch wenn das Volumen der bislang bekannten Verluste in Europa in keiner Weise mit denjenigen in den USA zu vergleichen ist.

Dennoch: auch namhafte europäische Banken mussten bisher milliardenschwere Wertberichtigungen vornehmen. Nur einige Beispiele:

Credit Agricole (F): Wertberichtigungen von insgesamt 8,7 Mrd. US-$.

Societe Generale (F) Wertberichtigungen aus Subprimemarktgeschäften von 6,5 Mrd. US-$.

UBS AG (Schweiz) Verluste von sage und schreibe 44 Mrd. US-$! Damit hat UBS europaweit mit Abstand die höchsten Verluste.
Die Krise hat inzwischen Finanzdienstleister in ganz Europa erfasst. Was heißt das alles für Deutschland? Der deutsche Bankensektor wird von den krisenhaften Entwicklungen nicht verschont. Viele Institute sind betroffen, nicht nur die IKB, die Sachsen LB oder die West LB, d. h. nicht allein der öffentlich-rechtliche Sektor!

Zum Glück halten sich die Engagements deutscher Banken bei Lehman Brothers in einem überschaubaren Rahmen und sind verkraftbar.

Insgesamt zeigt sich, dass das deutsche 3-Säulen-System im internationalen Vergleich relativ robust ist. Die deutsche Aufsichtsbehörde, BaFin, ist sich sicher, dass die in den letzten Jahren gesteigerte Risikotragfähigkeit der deutschen Institute ausreicht, die Verluste auszugleichen und die Sicherheit der privaten Ersparnisse zu gewährleisten.

Mit Blick auf die Realwirtschaft sind wir in Deutschland in der vorteilhaften Lage, dass sich unsere Unternehmen, insbesondere der auf Kreditfinanzierungen angewiesene Mittelstand – trotz Abschwung und sich verschärfender Kreditkonditionen – bislang nicht einer Kreditklemme gegenübersehen. Das sieht im Übrigen auch der BDI-Präsident, Herr Thumann, so. Dass es in Deutschland nicht zu

einer Kreditklemme gekommen ist, haben wir vor allem den Sparkassen zu verdanken, die in den ersten Monaten dieses Jahres sogar mehr Kredite ausgegeben haben als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

In dieser größten Krise seit Jahrzehnten zeigt sich, dass das zu unserem Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft passende Universalbankensystem mit seinen drei Säulen der privaten Geschäftsbanken, der kommunalen Sparkassen und der regionalen Genossenschaftsinstitute wesentlich robuster ist, als es das anglo-amerikanische Trennbankensystem mit seiner überzogenen Renditefixierung war. Die vergleichsweise breite geschäftspolitische Aufstellung bewährt sich in der Krise. Es bewährt sich, dass wir in Deutschland nicht nur auf die Rendite geschaut haben – wir haben uns der ausschließlichen Fixierung auf kurzfristige Rendite und immer höhere Quartalsgewinne in zwei von drei Banksäulen weitgehend verweigert. Wir müssen gerade gegenüber Brüssel unser 3-Säulen-System verteidigen.

Tiefere ordnungspolitische Ursachen der Krise
Meine Damen und Herren,

wenn nach den Ursachen der Krise gefragt wird, dann lautet die Standard-Antwort: die US-Subprimemarktkrise. Vordergründig ist das richtig. Die eigentlichen Ursachen liegen jedoch tiefer – nämlich in einer aus meiner Sicht unverantwortlichen Überhöhung des „laissez-faire“-Prinzips, also dem von staatlicher Regulierung möglichst vollständig befreiten Spiel der Marktkräfte im anglo-amerikanischen Finanzmarktsystem.

Die Argumentation der „laissez-faire“-Vertreter war genauso einfach wie gefährlich: Lass den Markt mal machen, er ist am effizientesten, wenn der Staat sich mit Regulierung vollständig heraushält.

Der kurzfristige - oder sollte ich sagen: kurzsichtige - Erfolg - zweistellige Renditen und milliardenschwere Boni für Investmentbanker und –manager schien ihnen Recht zu geben. Darauf wollten weder in New York, noch Washington oder London Investmentbanker und Politiker verzichten.

Kritische Hinterfragungen dieses Systems sowie Lösungsvorschläge wie sie die Bundesregierung angestellt hat, wurden während unserer G7- und EU-Präsidentschaft belächelt oder als typische deutsche Regulierungsneigung vor der Finanzmarktkrise behandelt.

Von anglo-amerikanischer Seite wurde das dortige System mit einer Art „Absolutheitsanspruch“ versehen. Es wurde noch vor kurzer Zeit ziemlich vehement auf die möglichst globale Übernahme dieses Modells gedrängt. Verhängnisvolle Folge war, dass

die USA bei der Implementierung der stabilisierenden Basel II-Bankenregeln sehr zögerlich vorgegangen sind,

die USA wegen ihrer langen Weigerung erst 10 Jahre (!) nach Einführung der Financial Stability Assesment Programs (FSAPs) beim IWF eine Untersuchung ihres Finanzsystems haben werden,

die USA - anders als z.B. Deutschland - bislang die Investmentbanken nicht ausreichend reguliert und beaufsichtigt haben und

- anders als in vielen europäischen Ländern - nicht über eine Allfinanzaufsicht, sondern über eine stark zersplitterte Finanzaufsicht verfügen.
Dieses in weiten Teilen unzureichend regulierte System bricht gerade zusammen – mit weit reichenden Folgen für den US-Finanzmarkt und erheblichen Ansteckungseffekten für die übrige Welt. Einmal mehr scheint es in der Geschichte so zu sein, dass sich ein System, das maßlose Übertreibungen ermöglicht und geduldet hat, seine eigene Antithese schafft, sich letztlich selbst aufhebt.

Aktuelles Krisenmanagement
Meine Damen und Herren,

wie bei einem Patienten, der unter akuten Kreislaufproblemen leidet, kommt es auch bei einer Finanzmarktkrise im Rahmen des akuten Krisenmanagements zu allererst darauf an, einen Kollaps zu verhindern. Dazu müssen lebenserhaltende Prozesse und Funktionen stabilisiert werden, die in Stresssituationen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr ablaufen.

Angesicht der in den letzten Tagen zugespitzten Situation in den USA, hat die US-Regierung eine Reihe von Stabilisierungsmaßnahmen beschlossen - die ich ausdrücklich begrüße –, mit dem Ziel, den Kollaps des US-Finanzmarktes und damit Schlimmeres zu verhindern.

An oberster Stelle steht das bereits von mir erwähnte staatliche, 700 Mrd. US-$ schwere, Rettungsprogramm (troubled asset relief program). Es dient zum Aufkauf illiquider hypothekenbezogener Aktiva der Finanzinstitute. Jetzt muss der amerikanische Steuerzahler dafür zahlen, dass das Finanzmarktsystem trotz immer undurchsichtigerer Innovationen nicht ausreichend reguliert wurde. Ich bin sehr froh, dass der deutsche Steuerzahler bisher deutlich

niedriger belastet worden ist und belastet werden wird. Die bisherigen Kosten auch zu Lasten des Steuerzahlers stehen in einem weit geringeren Verhältnis gegenüber den Kosten, die entstanden wären, wenn wir – Bund und Länder – unseren Finanzmarkt nicht stabilisiert und eine weitergehende Erschütterung vermieden hätten.

Wie groß die Probleme in den USA aktuell sind, zeigt der Vergleich mit dem Programm zur Beilegung der „Savings- and Loans-Krise“. Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre entsprach das Rettungsprogramm in den USA ca. 3% des US-amerikanischen BIP – heute sind es bereits 5% des US-BIP.

Die Wall Street wird nie mehr so sein, wie sie war. Bis vor wenigen Tagen gab es noch zwei letzte Mohikaner unter den Investmentbanken. Inzwischen gilt auch das nicht mehr. Die letzten beiden übrig gebliebenen großen US-Investmentbanken, Morgan Stanley und Goldman Sachs, sind in gewöhnliche Bank-Holdings umgewandelt worden. Damit fallen sie stärker unter die Kontrolle der nationalen Bankregulierung. Sie verlieren damit – Gott sei Dank – sehr viel Spielraum für riskante Anlageprodukte.

Meine Damen und Herren,

die Entwicklungen bei

den US-Investmentbanken Bear Stearns, und

Lehman Brothers,

bei den beiden Hypothekenfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac sowie

zuletzt beim US-Versicherungsunternehmen AIG
spiegeln ein schwieriges Abwägungsproblem wider, vor dem alle staatlichen Autoritäten stehen – der Abwägung zwischen dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes einerseits und der Vermeidung einer Ausnutzung staatlicher Unterstützung durch Marktteilnehmer („moral hazard“) andererseits.

Staatliche Autoritäten müssen immer abwägen - und zwar unter Ungewissheit, bei unvollständigen Informationen - zwischen der Gefahr systemischer Krisen für den gesamten Finanzmarkt und der Gefahr, von Marktteilnehmern, ausgenutzt zu werden. Solchen Marktteilnehmern, die darauf spekulieren, dass der Staat mit Steuergeldern oder die Notenbanken mit frischem Geld intervenieren, das schlimmste verhindern und somit das riskante Geschäftsgebaren dieser Marktteilnehmer im Nachhinein sogar noch belohnen.

Ich kritisiere die staatlichen Stellen in den USA für ihr spätes Vorgehen, aber ich begrüße ihr differenziertes Vorgehen. Die staatlichen Autoritäten in den USA haben nicht jedes Institut gerettet, aber sie haben dann zugegriffen, wenn es notwendig war, um zu verhindern, dass es zu einem Zusammenbruch des Finanzmarktsystems gekommen wäre.

Dabei entbehren die Diskussionen um Rettungsaktionen diesseits und jenseits des Atlantiks nicht einer gewissen politischen Scheinheiligkeit: Da werden im Fall der USA die milliarden- bis billionenschweren Rettungsaktionen der Regierung als Beleg für die Tatkraft und Handlungsfähigkeit der Regierung gelobt.

In Deutschland werden dagegen die eingesetzten Steuergelder als Versagen des Staates beklagt. Da wird der amerikanische Finanzminister zum Mann der Stunde, dem das Magazin „Newsweek“ sein Cover mit dem Titel „King Henry“ gönnt und hier wird gerade so getan, als wären die an der IKB-Rettung Beteiligten eine Zusammenrottung von Ignoranten. Das sind sie nicht.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir brauchen kein Titelbild – was ich aber einfordere, ist etwas mehr Ausgewogenheit und weniger Beliebigkeit in der politischen Diskussion der Finanzmarktkrise!

Meine Damen und Herren,

wir müssen uns über Eines im Klaren sein:

Was die USA mit dem 700 Mrd. US-$-Rettungsprogramm jetzt im großen Stil vollziehen ist etwas, dass wir in Deutschland ganz gezielt für die betroffenen Banken wie die IKB, Sachsen LB, Bayern LB und West LB bereits vor Monaten vollzogen haben.

Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns andere sind, ist ein ähnliches Programm in Deutschland oder Europa weder notwendig noch sinnvoll. Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem! Diese Haltung wird im Übrigen auch von den anderen G7-Finanzministern in Kontinentaleuropa geteilt.

Das bedeutet nicht, dass die deutsche Politik untätig ist. Im Gegenteil: Bundesfinanzministerium, BaFin und Deutsche Bundesbank stehen in engem Kontakt mit ihren jeweiligen internationalen Partnerbehörden und den Spitzen der deutschen Kreditwirtschaft. Das Krisenmanagement hat bisher geklappt.

Für den heutigen Nachmittag habe ich die wichtigsten Vertreter der deutschen Finanzwirtschaft zu einem Austausch - nicht zu einem Krisengipfel – eingeladen. Mit den Vertretern der Bankenwirtschaft und der Versicherungswirtschaft will ich diskutieren, wie sie die Lage zu beurteilen und bewerten.

Das Gespräch dient darüber hinaus auch der Vorbereitung des G7-Finanzministertreffens am 10./11. Oktober in Washington.

Zum wirksamen aktuellen Krisenmanagement gehört auch, dass die BaFin ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot zur Sicherung der Vermögenswerte gegenüber der Lehman Brothers Bankhaus AG erlassen hat. Außerdem hat die BaFin - entsprechend dem Vorgehen in anderen Ländern, wie den USA und Großbritannien, und in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen – am vergangenen Freitag ein sofortiges Verbot von Leerverkäufen in Aktien führender Unternehmen der Finanzbranche erlassen.

Damit wird verhindert, dass durch pure Spekulation provozierte exzessive Bewegungen in den Aktienkursen wichtiger Unternehmen der Finanzbranche die Finanzmärkte zusätzlich verunsichern und dadurch die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

Krisenprävention - Wie können vergleichbare Finanzmarktkrisen in Zukunft verhindert werden?
Meine Damen und Herren,

eines ist völlig klar: Um das in den und gegenüber den Finanzmärkten und ihren Akteuren massiv verloren gegangene Vertrauen wieder zurück zu gewinnen, wird es bei weitem nicht ausreichen, dass wir uns mit der akuten Krisenbewältigung begnügen.

Krise bewältigen und dann wieder zur Tagesordnung übergehen – das reicht nicht!

Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als die Finanzmärkte so zu sagen „neu zu zivilisieren“ und darüber vergleichbare Krisen in der Zukunft möglichst zu verhindern.

Wie können wir das erreichen? Sicher nicht allein durch moralische Appelle gegen spekulative Zügellosigkeit und exzessive Übertreibungen.

Eine wirksame mittel- bis langfristige Antwort auf die Krise kann deshalb nicht allein in erneuten Selbstverpflichtungserklärungen oder Selbstregulierungen der Finanzmarktindustrie liegen. Das reicht nicht! Die mir wichtige Antwort ist eine stärkere, international abgestimmte Regulierung auf internationaler Ebene, weil sich die Krise nationalstaatlichen Maßnahmen entzieht.

Dabei müssen wir – und das ist eine weitere gute Nachricht – nicht bei Null anfangen sondern können auf bereits erreichte Fortschritte aufbauen. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst dieser Bundesregierung.

Es war die deutsche G7- und EU-Präsidentschaft, die schon im Weltwirtschaftsgipfel von Gleneagles mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dann im ersten Halbjahr 2007 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und mir das Thema einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte auf die internationale Agenda gesetzt hat.

Immerhin mit dem Erfolg, dass internationale Gremien jetzt – in dem Entsetzen über die Finanzkrise – weit reichenden Maßnahmen zur Krisenprävention zugestimmt haben und zielstrebig die Umsetzung dieser Maßnahmen betreiben, um zukünftig Krisen dieser Art zu verhindern.

Weil das so ist, macht es auch überhaupt keinen Sinn, wenn Experten oder die, die sich dafür halten, eine reine Kakaophonie von Vorschlägen unterbreiten. Tagtäglich gibt es einen ganzen Strauss davon.

Eine Forderung ist zum Beispiel, jetzt ganz schnell die Eigenkapitalunterlegung für die unsäglichen Verbriefungen und strukturierten Produkte zu erhöhen, die außerhalb der Bilanzen gehandelt wurden.

Ja, ich bin sicher, dazu wird es auf internationaler Ebene kommen müssen, aber doch nicht jetzt, mitten in der Krise, wo wir nur noch mehr Zusammenbrüche provozieren würden, weil wir die Institute mitten in der Krise neu belasten!

Was wurde bisher getan?

G7/FSF

Meine Damen und Herren,

sauber wird die Treppe nur dann gefegt, wenn wir sie mit dem regulatorischen Besen von oben nach unten kehren. Das heißt: Zuallererst sind regulierende Maßnahmen notwendig, die weltweit gelten. Auf der nächsten Ebene brauchen wir ein europäisches Level Playing Field und erst dann kommt die nationale Ebene.

Bereits kurz nach Beginn der Finanzmarktturbulenzen hat Deutschland im September 2007 das Forum für Finanzmarktstabilität (FSF) gebeten, eine Analyse und vor allem Empfehlungen vorzulegen, wie ähnliche Krisen in Zukunft verhindert werden können. Mir war wichtig, dass es zu einer Stärkung der Eigenkapitalanforderungen, einer Verbesserung des Liquiditäts- und Risikomanagement, einer Erhöhung der Transparenz und zu Reformen bei den Ratingagenturen kommt, die bei der Entstehung der Krise eine unrühmliche Rolle gespielt haben.

In einem Schreiben an meinen japanischen Amtskollegen und Vorsitzenden der G7-Finanzminsiter Anfang dieses Jahres habe ich diese drei Bereiche, in denen wir Verbesserungen brauchen, weiter ausgeführt. Vor allem habe ich mehr generelle Eigenkapitalpuffer als Stoßdämpfer für das Finanzmarktsystem vorgeschlagen. Im April 2008 hat dann das FSF seine Empfehlungen vorgelegt, die auf die von mir genannten Punkte fokussiert sind und die meine G7-Kollegen, ebenso wie die Bundeskanzlerin und ihre G8-Kollegen, nachdrücklich vorangetrieben haben.

Inzwischen hat die Umsetzung der Empfehlungen gute Fortschritte gemacht. Die vom FSF ausgearbeiteten 100-Tage-Prioritäten sind weitgehend umgesetzt. Sie umfassen wichtige Maßnahmen wie zum Beispiel die Offenlegung der Risiken durch die Banken, die Vorlage einer überarbeiteten Leitlinie für das Liquiditätsmanagement durch den Baseler Bankenausschuss sowie die Überarbeitung des Verhaltenskodex für Ratingagenturen durch die IOSCO.

Auch mit der Umsetzung der übrigen Empfehlungen geht es planmäßig voran. So hat beispielsweise der Baseler Bankenausschuss ein Konsultationspapier zur Berechung des spezifischen Risikos im Handelsbuch der Banken vorgelegt. Der Ausschuss hat zudem angekündigt, noch in diesem Jahr eine Leitlinie für eine Stärkung der Eigenkapitalanforderungen für bestimmte strukturierte Finanzprodukte und Liquiditätslinien an Zweckgesellschaften vorzulegen.

In Kürze - beim Treffen der G7 Finanzminister und Notenbankgouverneure in Washington DC im Oktober - werden wir einen umfangreichen Bericht über den Stand der Umsetzung der FSF-Empfehlungen erhalten. Gleichzeitig werden wir beraten, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen – unter anderem durch eine verbesserte Zusammenarbeit von IWF und FSF als „Frühwarnsystem“, wie wir das jüngst vorgeschlagen haben.

Größe und Tiefe der Krise verlangen, nicht bei dem stehen zu bleiben, was wir bereits im Frühjahr richtig erkannt haben.

EU-Ebene

Auch in der EU setzt sich Deutschland schon seit mehreren Jahren energisch und erfolgreich für eine Stärkung der Finanzstabilität ein.

Nach Ausbruch der Finanzkrise im Bankensektor vor einem Jahr hat der ECOFIN-Rat am 9. Oktober 2007 ein Arbeitsprogramm zur Stärkung der Effizienz und Stabilität der internationalen Finanzmärkte beschlossen.

Diese sog. „ECOFIN Roadmap“ enthält zahlreiche Maßnahmen, um Schwachstellen der internationalen Finanzmärkte zu beseitigen.

Bei diesen Maßnahmen geht es darum, die Aufsicht über die Finanzmärkte und das grenzüberschreitende Krisenmanagement zu stärken, die Transparenz an den Finanzmärkten zu erhöhen, Aufsichtsregeln zu Kapitalanforderungen und das Risikomanagement zu stärken sowie das Funktionieren von Märkten zu verbessern.

Auch bei der Umsetzung dieser „Roadmap“ gibt es Fortschritte. Einige grenzüberschreitende Gruppen der Aufsichtsbehörden sind eingerichtet. Ein Memorandum of Understanding zwischen den europäischen Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und Finanzministerien zur Stärkung des Krisenmanagements ist beschlossen worden.

Nationale Ebene

In Deutschland hat das das 3-säulige Universalbankensystem in der aktuellen Krise eine besonders wichtige Stabilisierungsankerfunktion übernommen.

Je fragiler die Situation auf den internationalen Finanzmärkten wird, desto mehr sollten wir dankbar sein, dass wir im dreigliedrigen deutschen Bankensystem öffentlich-rechtliche Sparkassen haben, die eben nicht – wie es Mark Twain einmal formuliert hat „bei schönem Wetter Regenschirme ausgeben, die sie bei den ersten Regentropfen wieder zurück haben wollen“, sondern die - salopp formuliert – bei steigendem Pegel sogar noch Gummistiefel austeilen und wegen ihrer Kenntnis vor Ort auch wissen, wo Dämme verstärkt werden müssen.

Auch und gerade vor dem Hintergrund dieser wichtigen realwirtschaftlichen Funktion der Sparkassen und Genossenschaftsbanken als Stabilitätsanker und angesichts der extremen Nervosität auf den Märkten kann ich der EU-Kommission nur dringend raten, z. B. im Falle der WestLB verantwortungsvoll und mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorzugehen.

Das heißt nicht, dass bei den Landesbanken alles beim alten bleiben kann. Wer es bis dato noch nicht wahr haben wollte, dem hat spätestens die Finanzmarktkrise mit aller Wucht gezeigt, dass das traditionelle Geschäftsmodell der Landesbanken nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht.

Deshalb muss es jetzt darum gehen, für einen konsolidierten Landesbankensektor neue Geschäftsmodelle zu definieren, mit denen die Landesbanken:

übermäßige Risiken von hoch volatilen Kapitalmarktgeschäften vermeiden,
nachhaltig angemessene Erträge erwirtschaften,
und die Sparkassen in ihrem Leistungsspektrum für die Kunden wirksam unterstützen können.

Schon seit langem sind hier die Bundesländer gefordert: Sie müssen regionale politische Egoismen überwinden und sich endlich überregionalen Zusammenschlüssen öffnen, um den Verbund der Sparkassen- Finanzgruppe und damit das deutsche Bankensystem insgesamt nachhaltig zu stärken.

Ich warne alle Beteiligten vor Planspielen mit falschen Annahmen. Vom Bund ist bei der Bereinigung der Probleme im Landesbankenbereich keine finanzielle Unterstützung zu erwarten!

Die Hausaufgaben müssen in den Ländern und zwischen diesen gemacht werden

Meine Damen und Herren,

um mehr Ratioanalität in den Finanzmarkt zu bringen und um den Risiken entgegenzuwirken, die mit Finanzinvestitionen für Unternehmen und Gesamtwirtschaft einhergehen, hat die Bundesregierung vor einigen Monaten das so genannte Risikobegrenzungsgesetz eingeführt.

Wir wollen damit die Transparenz, Klarheit und Rechtssicherheit auf dem Kapitalmarkt erhöhen. Wir wollen, dass der Einfluss, den Investoren alleine oder gemeinsam auf Unternehmen ausüben, in Übereinstimmung mit ihrem Stimmrechtsanteil steht.

Wir wollen verhindern, dass leistungsfähige Unternehmen durch die übermäßige Belastung mit Krediten ausgeplündert werden und wir wollen verhindern, dass zukunftsfähige Unternehmen alleine aus kurzfristigen Renditeerwägungen zerschlagen werden. Und wir wollen, dass vor allem diejenigen, die in der Regel als erste negativ von Übernahmen betroffen sind – also nicht die Manager, die sich nach erfolgter Übernahme mit mehr als auskömmlichen Abfindungen aus ihrem Unternehmen verabschieden, sondern die Belegschaften mit ihren Arbeitsplätzen – in die Lage versetzt werden, frühzeitig auf eine mögliche Übernahmen zu reagieren. Dabei kommt der Mitbestimmung eine große Bedeutung zu.

Darüber hinaus gibt es in Deutschland - als weiteren Stabilisierungspfeiler und im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedstaaten - bereits ein System zum Schutz der Versicherungsnehmer im Fall der Insolvenz einer Lebensversicherung. Wir werden uns dafür einsetzen, dass in diesen Segmenten auch auf europäischer Ebene im Rahmen von Solvency II eine Harmonisierung erfolgt.

Fazit/Ausblick

Meine Damen und Herren,

es gibt nichts zu beschönigen: wir befinden uns mitten in der schwersten Finanzkrise seit Jahrzehnten, in der wir allerdings - dank eines insgesamt erfolgreichen nationalen wie internationalen Krisenmanagements – den „Super-GAU“, den Kollaps des Weltfinanzsystems bisher verhindern konnten.

Niemand – kein Ökonom, kein Finanzminister und kein Zentralbankchef dieser Welt kann mit Bestimmtheit sagen, wie lange wir noch mit dieser Krise und ihren Begleiterscheinungen leben müssen.

Wenn jemand behauptet, er sehe Licht am Ende des Tunnels, dann sollte derjenige auch die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass es sich bei diesem Licht um die Scheinwerfer des entgegenkommenden Zuges handeln könnte.

Ich appelliere - auch angesichts des bislang erfolgreichen Krisenmanagements - an alle Verantwortlichen in der Politik und in den drei Säulen des deutschen Bankensystems: dies ist nicht der Zeitpunkt für kleinliche Diskussionen und kleinteilige Hakeleien, mit denen man versucht, auf Kosten des vermeintlichen Wettbewerbers kurzfristige Geländegewinne zu erzielen. Das gilt auch für die Politik.

Es ist der Zeitpunkt, um gemeinsam, mit vereinten Kräften durch die Krise durchzukommen und gleichzeitig das globale Finanzsystem stabiler zu machen. Nicht nur im Interesse der Finanzwirtschaft, sondern viel mehr noch im Interesse der Verbraucher, der Wirtschaft, aller Menschen in unserem Land.

Eine Erkenntnis aus der Krise lässt sich jetzt schon ziehen: Die Wall Street - das Epizentrum der Krise - wird nicht mehr das sein, was sie in den letzten Jahrzehnten war.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass wir – nach der Bankrotterklärung des auf weiten Teilen des Finanzmarktes in den letzten Jahrzehnten dominierenden „laissez-faire“-Kapitalismus – „neue Verkehrsregeln“ brauchen, wie es Helmut Schmidt jüngst formuliert hat.

Diese neuen Verkehrsregeln, an denen wir im G7- wie auch im europäischen Bereich bereits intensiv arbeiten, können nur handlungsfähige staatliche Institutionen, die sich international koordinieren, wirksam setzen und durchsetzen. Und zwar zum Wohle aller: der strauchelnden Finanzinstitute genauso wie der Privateinleger, die sich zurecht nach mehr staatlicher Sicherheit auf den Finanzmärkten sehnen.

Ich teile dezidiert die Auffassung von Herrn Röttgen, dass die Finanzmarktkrise die Idee der sozialen Marktwirtschaft auf lange Sicht weltweit stärken kann. Auch ich sehe in den Turbulenzen auf den Finanzmärkten nicht das Ende der marktwirtschaftlichen Ordnung. Aber die Krise zeigt eindeutig die Notwendigkeit und Aktualität von staatlichem Handeln, das den Märkten Spielregeln und damit auch Grenzen setzt.

In den vergangenen Jahren wurde viel geredet und geschrieben über Staatsversagen. Manches zu Recht. Ich weiß aus eigenem Erleben, dass staatliches Handeln nicht immer effizient abläuft. Aber zu wenig wurde geredet und geschrieben über Marktversagen. Dass es das real gibt, mit gravierenden Auswirkungen auf das Leben aller, erleben wir gerade jetzt.

Weder der bloße Ruf nach mehr Staat noch der simple Glaube an den wettbewerblichen Markt wird der Aufgabe gerecht, Wirtschaft so zu gestalten, dass alle an einem stabilen, möglichst krisenfreien Wachstum teilhaben können.

Staatliche Institutionen müssen im internationalen Verbund Rahmen setzen, Regeln definieren und für ihre Einhaltung sorgen.

Die Marktteilnehmer müssen diesen Rahmen kreativ ausfüllen –nicht getrieben von Gier und Kurzatmigkeit, sondern von Verantwortung für die Gesellschaft. Das ist unser, ist mein Verständnis von sozialer Marktwirtschaft. Das grenzt sich ab von jeglichem Neoliberalismus und Neo-Etatismus.

Meine Damen und Herren,

neue Verkehrsregeln für den Finanzmarkt sind notwendig – was heißt das konkret? Es heißt insbesondere:

Erstens: wir müssen zukünftig verhindern, dass Risiken durch Finanzinnovationen außerhalb der Bilanz platziert werden können. Wir wollen, dass Banken Risiken eingehen können, aber nur solche, die sie mit ausreichend Eigenkapital unterlegt und in der Bilanz aufgeführt haben. Nur eine solche Transparenz schützt vor vergleichbaren Krisen wie die gegenwärtige. Das bedeutet nicht, in Zukunft Finanzinnovationen zu verhindern, aber sie transparent zu machen – auch den Prozess ihrer Entstehung.

Zweitens: wir brauchen höhere Liquiditätsvorsorge bei den Banken.

Drittens: es muss internationale Standards für eine stärkere persönliche Haftung der verantwortlichen Finanzmarktakteure geben.

Viertens: Wir müssen wieder zu einem engeren Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite kommen. Das heißt auch: Es muss endlich Schluss sein mit dem wahnsinnigen Streben nach immer höherer Rendite, ein Quartal nach dem anderen. Allen Beteiligten muss klar sein, dass sich Renditen von 25 % auf Dauer nicht erzielen lassen, wenn darüber nicht unverhältnismäßig hohe Risiken in Kauf genommen werden oder andere Marktteilnehmer beschädigt werden sollen. Beherrschen lassen sich die entsprechenden Risiken offenkundig nicht.

Ein solches Renditerennen führt früher oder später in den Zusammenbruch der Märkte. Es ist schizophren, wenn die Anreiz- und Vergütungssysteme der Banken die Jagd nach Umsatzvolumen und Renditen befeuern, ohne die dabei eingegangen Risiken zu berücksichtigen. Das wollen wir ändern!

Fünftens: Wir brauchen eine deutlich engere Zusammenarbeit zwischen dem Financial Stability Forum und dem Internationalen Währungsfonds. Der IWF sollte die Kontrollinstanz für die Einhaltung weltweiter Finanzmarktstandards werden. Hierfür ist der IWF besonders geeignet.

Sechstens: Im Sinne von mehr Transparenz und Stabilität auf den Finanzmärkten müssen wir gemeinsam auf internationaler Ebene zu einem Verbot rein spekulativer Leerverkäufe kommen.

Siebtens: Um wieder ein nachhaltiges Risikobewusstsein bei den Banken zu erreichen, werde ich mich beim bevorstehenden G7-Treffen in Washington dafür einsetzen, dass Kreditrisiken, die Banken eingehen, von diesen nicht mehr zu 100% verbrieft und damit weitergereicht werden können. Aus meiner Sicht sollte das veräußernde Institut verpflichtet werden, bis zu 20% der eingegangenen Kreditrisiken in den eigenen Büchern zu behalten.

Über den angemessenen Prozentsatz, der einerseits hoch genug ist, um genügend Anreize für ein risikobewussteres Verhalten zu setzen, andererseits aber nicht so hoch ist, dass Geschäftstätigkeiten der Banken zu sehr eingeschränkt werden, muss in Washington geredet werden. Ich bin zuversichtlich, dass ein solcher Selbstbehalt der Banken die gleichen positiven Effekte auf das Risikobewusstsein haben wird wie der Selbstbehalt bei Ihrer und meiner Kraftfahrzeug-Versicherung.

Und achtens werde ich mich bei den europäischen Partnern für eine weitere europäische Harmonisierung der Aufsicht stark machen.

Ich bin zuversichtlich: Diese neuen Verkehrsregeln können dazu führen, dass zukünftige Finanzkrisen nicht mehr diese Sprengkraft entwickeln, wie es aktuell der Fall ist. Dafür lohnt es sich zu arbeiten – und das tun wir! Lassen Sie mich abschließend auf die Folgen für die deutsche Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte eingehen:

In Übereinstimmung mit dem Bundesbankpräsidenten sehe ich keine Kreditklemme, wohl aber eine Verschlechterung der Kreditkonditionen. Die Bürger müssen keine Angst um die Sicherung ihrer Einlagen haben.

Unsere Realwirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen. Die Abwärtsrisiken für die Konjunktur können wir nicht ignorieren.

In welchem Ausmaß die öffentlichen Haushalte betroffen sind, liegt an mehreren Faktoren:

Weniger an der realen als an der nominalen Wachstumsrate, die deutlich höher ist;

an der Reaktion der Steuereinnahmen auf die abgeschwächte Konjunktur (die Steuereinnahmen verzeichnen bisher keinen Einbruch);

an der Entwicklung des Arbeitsmarktes, die nach wie vor positiv ist;

und an der Fähigkeit unserer Wirtschaft, wieder Fahrt aufzunehmen, was immer noch von der US-Entwicklung abhängig ist, aber weniger als früher.
Die neue Wachstumsprojektion der Bundesregierung kommt Mitte Oktober und die neue Steuerschätzung Anfang November. Diese bleiben abzuwarten, ehe jemand mit eigenen Schätzungen versucht, Schlagzeilen zu erzielen.

Die Bundesregierung wird ihren Kurs beibehalten, ihren Planungen keine zweckoptimistischen Eckwerte zugrunde zu legen. Das wird Einfluss auf die laufenden Haushaltsberatungen haben und manche Wunschzettel oder eilfertigen Versprechungen aushebeln.

Das Ziel, gleichzeitig

die Konsolidierung fortzusetzen,

die automatischen Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte zur Geltung zu bringen, um die Konjunktur zur stützen,

gegenfinanzierte Entlastungen voranzutreiben

und Zukunftsinvestitionen zu finanzieren,
bleibt richtig.

Die Tugenden, die Max Weber vor 100 Jahren für einen Politiker beschrieben hat, sind aktueller denn je: Leidenschaft, Verantwortungsbewusstsein - und Augenmaß.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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